11.7.2024, 18:00 Uhr,
Kuratorenführung durch die Ausstellung Ludger Gerdes: Synkategoremata mit Matthew Hanson
, Stadthausgalerie MünsterLudger Gerdes, Schiff für Münster, 1987, 51°58'15.3"N 7°35'37.3"E
Ludger Gerdes, Schiff für Münster, 1987. Installationsansicht 2017
CreditFür die Skulptur Projekte in Münster 1987 realisierte Ludger Gerdes (1954–2008) mit Schiff für Münster seine erste große Installation für den öffentlichen Raum. Für diese diente ihm das Gebiet am Kinderbach an der Grenze zum ländlich geprägten Umland als Ausgangspunkt. Inmitten einer Wiese, die mittlerweile um ein Wohngebiet ergänzt wurde, errichtete Gerdes eine 43 Meter lange Insel in Form eines Schiffes, die durch eine Mauer begrenzt und von einem Wassergraben umgeben ist. Auf der Insel pflanzte er zwei Pappeln und errichtete auf dem Heck eine hölzerne an griechisch-römische Tempel erinnernde Architektur. Mit der Schiffsform schuf er einen Bezug zur Binnenschifffahrt des nahegelegenen Dortmund-Ems-Kanals, mit dem umlaufenden Wassergraben zu den Wasserburgen der münsterländischen Landschaft. Eine Verbindung zur unmittelbaren Nachbarschaft stellte Gerdes her, indem er den Wechsel von Architektur, Begrünung und Wasserlauf aufnahm.
In Schiff für Münster greift Gerdes auf eine Schiffsmetaphorik zurück, die er als Illustration der unsicheren Grundlage der menschlichen Erkenntnis, auf der alle Wertvorstellungen basieren, sieht. Zusätzlich ist sein Verständnis der Schifffahrts- und Schiffbruchmetaphern von der Theorie des aus Münster stammenden Philosophen Hans Blumenberg beeinflusst.1 Der prekäre Aspekt der Schifffahrt wird in dem Schiff am Kinderbach durch die feste Verankerung des gemauerten Rumpfes und die Verbindung mit der im Vergleich zur Seefahrt sichereren Binnenschifffahrt abgeschwächt – die menschliche Erkenntnis scheint entgegen Gerdes Verständnis doch „auf sicherem Fundament errichtet“.2
Die Säulen, die den Baukörper der Tempelarchitektur auf Gerdes‘ Schiff ausmachen, bilden eine Verbindung zu seinen Malereien und Skulpturen der 1980er Jahre, in denen er Fragen des Raumes und der Räumlichkeit weiter zu beleuchten suchte. Als historisches Zitat evozieren sie Eindrücke von Statik und Ordnung, die als Gegensatz zu einer sich stetig verändernden Botanik verstanden werden können. Es kommt zu einem Zusammenspiel von architektonischen Elementen und der Natur wie man es in der Gartenkunst findet. Die Verbindung von Natur und Kultur zeigt sich für Gerdes in Gärten auf ideale Weise, da diese ähnlich wie Kunstwerke eine Welt inszenieren, diese aber begehbar machen und durch die Verbindung von Naturelementen und künstlerischer Formgebung zu einem beispielhaften Muster für Kommunikation werden. Eine Intention, die Gerdes auch für die Kunst in Anspruch nimmt und die sich in der von ihm verwendeten narrativen Bildsprache zeigt.3 Um diesen zwischenmenschlichen Diskurs aus den institutionellen Kunstbetrieben in den täglichen Lebensbereich der Menschen bewegen zu können, versteht der Künstler den öffentlichen Raum als idealen Bezugspunkt für seine Werke. Für die Umsetzung dieser Ansprüche ist die von Gerdes gewählte Platzierung an der Peripherie Münsters von Bedeutung. Die Kunst- und Kultureinrichtungen der Innenstadt werden umgangen und verlieren so für die Existenz des kulturellen Selbstverständnisses an Bedeutsamkeit, die direkte Nachbarschaft des Schiffs gewinnt hingegen daran. Der Bezug zur Innenstadt klingt lediglich in der Ausrichtung des Bugs seines Schiffes an; dieser zeigt (ursprünglich mit unverbautem Blick) in Richtung der Überwasserkirche, des Paulusdoms und der Lambertikirche, die für Gerdes die drei Autoritäten Mönch, Bischof und Bürgertum verkörpern und Münster auf besondere Weise prägen.
Lisa Petersohn
Siehe hierzu Hans Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, 1997.
Ludger Gerdes, „Ludger Gerdes. Projekt: Schiff für Münster“ in Klaus Bußmann / Kasper König (Hgs.): Skulptur Projekte in Münster 1987, Köln: DuMont Buchverlag, 97–104, 104.
Ebd. 103.
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