Richard Tuttle, Art and Music, 1987, 51°57'44.6"N 7°37'26.3"E

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Richard Tuttle, Art and Music I, 1987. Installationsansicht

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Der amerikanische Künstler Richard Tuttle (geb. 1941 in Rahway, New Jersey) montierte als Beitrag für die Skulptur Projekte in Münster 1987 eine zweiteilige Installation aus weiß bemalten Holzobjekten an eine Häuserwand inmitten der Innenstadt. Die identische Form der beiden Skulpturen erinnert an ein Apostroph oder einen Bassschlüssel. Trotz der zentralen Lage verwundert die Arbeit durch ihre unscheinbare, regelrecht versteckte Anbringung. Während Art and Music I in der schmalen Mauernische einer – heute meist verschlossenen – Tordurchfahrt übereck an der Ziegelsteinwand angebracht ist, befindet sich Art and Music II auf exakt gleicher Höhe, jedoch um einige Meter versetzt, auf der Außenseite der Wand, in einem schmalen von Fußgänger:innen genutzten Durchgang am Fürstenberghaus, der zum Domplatz hin- beziehungsweise von dort wegführt. Beide Objekte beziehen sich auf eine gemeinsame horizontale Grundlinie und scheinen wie durch ein unsichtbares Notensystem räumlich miteinander verbunden. Tuttle selbst erläuterte das Zusammenspiel beider Formen wie folgt: „Das erste Objekt rollt sich nach einwärts (wenn man es in Bezug auf eine Spirale sieht) und das zweite auswärts. So dass beide zusammen vollständig sind, wie ein Kreis der erst ein- dann ausatmet.“1 Die zweite Skulptur im Durchgang ist auf eine quadratische Stahlplatte montiert, deren rostbraune Oberfläche eine geometrisch angelegte Struktur aus Schweißnähten aufweist. Passant:innen können im Vorübergehen niemals beide Objekte zugleich sehen. Betrachtet man jedoch die beiden Objekte in ihrer ungewöhnlichen räumlichen Beziehung, so kann sich, der Vorstellung des Künstlers zufolge „eine Art platonisches Ideenbild von Balance übertragen. Dieser Ausgleich ist das Wichtigste“, berichtet der Künstler im Handbuch zur Ausstellung 1987: „Im Eckstück geht die Energie nach innen, im Plattenstück nach außen. Das ist ein Beitrag, um die Stadt selbst zur Skulptur zu machen, statt sie aufzufordern in den Park zu kommen und sich Skulpturen anzusehen. Die Energie der Stadt möge in dieses Zeichen eingehen.“2

Auch wenn sich Tuttles Beitrag zu den Skulptur Projekten 1987 noch heute am ursprünglichen Platz befindet, hat die bauliche Veränderung am Standort auch eine stark veränderte Wirkung der künstlerischen Arbeit mit sich gebracht. Ursprünglich basierte das von Tuttle beschriebene Gefühl von Balance auf der Tatsache, dass beide Elemente auf gleicher Höhe zu beiden Seiten der Ziegelsteinwand angebracht sind, während sich das Bodenniveau aufgrund eines Gefälles unterschied. Doch eben dies wurde im Zuge des Umbaus der angrenzenden Universitätsinstitute 2016/17 verändert: Die Fußgänger:innentreppe im Durchgang zwischen Domplatz und Spiegelkammer wurde entfernt und das Niveau des Platzes mehr als einen halben Meter angehoben. Aus diesem Grund befindet sich Art and Music II heute nicht mehr über Kopfhöhe der Passant:innen, sondern „hängt“ dem Anschein nach deutlich tiefer. Hinzu kommt, dass die Durchfahrt heute zumeist durch ein Eisentor verschlossen ist und nur noch selten benutzt wird. Somit ist Art and Music I wohl nur den wenigsten Münsteraner:innen bekannt. Noch heute zeugen Plakatreste aus den 1980er Jahren von der früheren Frequentierung dieser heute stillgelegten Passage.

Julius Lehmann

1

Klaus Bußmann/Kasper König (Hg.): Skulptur Projekte in Münster 1987 [Ausst.-Kat. Westfälisches Landesmuseum], Münster 1987, 254.

2

Richard Tuttle, zit. nach: Georg Jappe: Skulptur Projekte in Münster. Rundgang/Guide [Kurzführer zur Ausstellung Skulptur Projekte in Münster 1987], Münster 1987, 43.

Dieser Beitrag ist für das Skulptur Projekte Archiv entstanden und wurde der Kunsthalle Münster zur Verfügung gestellt. Auf der Website des Skulptur Projekte Archiv sind alle Werke zu finden, die zur Öffentlichen Sammlung der Skulptur Projekte gehören.