Kirsten Kaiser, Gänsefüßchen, 1997, 51°58'14.1 "N 7°36'40.7 "E / 51°59'51.3"N 7°35'11.5"E

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Kirsten Kaiser, Gänsefüßchen, 1997

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(„“) Gänsefüßchen ist der umgangssprachliche Ausdruck für Anführungszeichen. Sie beschreiben ein paarweise gesetztes strichförmiges Satzzeichen, das entweder den Anfang und das Ende einer angeführten Rede markiert oder für die Hervorhebung einzelner Worte und Gedanken verwendet wird.

Die Münsteraner Künstlerin Kirsten Kaiser (geb. 1961) greift in der Konzeption ihres Werks Gänsefüßchen die Funktion des Satzzeichens auf. Die Skulpturen befinden sich an zwei Standorten: Die Anführungszeichen unten markieren den Beginn der Gasselstiege an der Steinfurter Straße, die Anführungszeichen oben befinden sich am Ende der Straße vor dem Hof Schulze Gassel im Stadtteil Kinderhaus. Die Satzzeichen wurden aus Stahl gestanzt, in Schwarz lackiert und an jeweils drei filigranen Stahlträgern befestigt.

Die Idee für die Gänsefüßchen ist aus der intensiven Auseinandersetzung Kaisers mit der Historie der Gasselstiege entstanden, einer der ältesten Straßen Münsters. Dabei ist das Werk hinsichtlich der Interpretationsmöglichkeiten auf mehreren Ebenen mit dem umliegenden Raum verbunden. Die Künstlerin weist zum einen auf die Etymologie der Gasselstiege hin, indem sie deren Namensbildung bereits in den Titel miteinbezieht. Der Straßenname ist höchstwahrscheinlich auf den Hof Schulze Gassel zurückzuführen und von „Gössel“ dem niederdeutschen Wort für Junggans abgeleitet, wodurch sich ein Bezug zur Familienchronik des Everhard Schulte to Gassel (1535) ergibt. Zudem zeigt das Wappen der Familie eine weiße fliegende Gans auf blaugoldenem Grund. Zum anderen gelingt es der Künstlerin, sich mit ihrer subtilen künstlerischen Geste einen geografisch besonders weitläufigen Raum – ca. 4,5 km – anzueignen und den Verlauf von zeitlichem und räumlichem Empfinden hervorzuheben.

Der innerstädtische Standort zu Beginn der Gasselstiege ist von Wohnhäusern, Supermärkten und Spielplätzen umgeben. Dieser Stadtteil wird von vielen Menschen zu Fuß genutzt, mit dem Fahrrad oder Auto gekreuzt, um in Münsters Zentrum zu gelangen bzw. dieses wieder zu verlassen. An diesem belebten Abschnitt der Straße ist die Historie der Gasselstiege zwar baulich nicht mehr zu erkennen, aber durch ihre starke Nutzung hinsichtlich des infrastrukturellen Stellenwerts noch spürbar. Nach circa einem Kilometer verändert sich die Umgebung zu einem überwiegend von alten Bäumen umsäumten Weg, der durch die Felder – vorbei an Hoftieren, dem Kinderbach, Gutshöfen und Einfamilienhaussiedlungen – weiter gen Südwesten des Stadtteils Kinderhaus führt. Dieser Abschnitt der Gasselstiege darf von Autos nicht befahren werden, wodurch sich für die Menschen, die sich auf ihr bewegen, Momente der Ruhe und Erholung ergeben. Durch die rustikale ländliche Atmosphäre entsteht zudem eine Vorstellung von der vorindustriellen Zeit der Straße.

Der Entwurf Kaisers setzte sich im Zuge des Wettbewerbs für Kunst am Bau durch, der im Zusammenhang mit dem Neubau einer Wohnsiedlung an der Ecke Gasselstiege / Steinfurter Straße ausgeschrieben wurde. Die Arbeit stieß insbesondere unter den Anwohner:innen auf großen Zuspruch. Indem sich diese entschieden für die Realisierung des Werks einsetzten, stehen die Gänsefüßchen für eine gelungene Beteiligung von Bürger:innen an der Gestaltung des öffentlichen Raums.

Constanze Venjakob

Eigentum der Wohn + Stadtbau GmbH