28.10. – 17.12.2006,

Verstehst Du Das? - Neue-Medien-Kunst aus Südost-Europa. Maja Bajevic, Danica Dakic, Esra Ersen, Peter Marifoglu, Stefan Nikolaev, Milica Tomic

, AZKM

Südosteuropa gilt als politischer Brennpunkt. Griechen in Albanien, Türken in Griechenland, Albaner im Kosovo: Der Balkan ist ein Gebiet am Rande Europas, in dem vielfältige Bevölkerungsgruppen um ihre kulturelle wie politische Identität ringen. Die künstlerischen Produktionen aus diesen Regionen reflektieren diese gesellschaftlichen Ambivalenzen. Will man sie verstehen, muss man die vielschichtigen ethnischen und religiösen Überlagerungen begreifen. Die allesamt westeuropäisch bzw. westlich ausgebildeten Künstler*innen beziehen ihre Motivation und Anregungen aus ihrem sozialen, kulturellen und politischen Umfeld. In ihrer künstlerischen Arbeit liefern sie uns aber mitunter kritische Protokolle von Übersetzungsprozessen, interpretieren Geschichtsprozesse und liefern persönlich gefärbte Einblicke in Epochen der Weltpolitik, die auch wir manchmal nicht wirklich verstehen. Die Themen sind zugleich lebensnah-individuell und politisch-exemplarisch: Schulalltag, Generationen- und Rollenkonflikte, Mutter-Tochter-Beziehungen, Liebe, Heimat, Selbstbestimmung und das Leben in einer Welt, in der man nicht wurzelt ist. „Verstehst Du das?" – Diese Frage ist auch ein Resonanztest, ein Kontaktversuch, eine Überprüfung der Haltbarkeit von Zugehörigkeit. Identität, wie abstrakt-global wir auch bereit sind, diese zu definieren, benötigt lokale Verankerung, wirkliche Präsenz und ein soziales Umfeld, das allein durch geglückte und gelebte Erfahrung fundiert sein kann. Sie kann durch nichts – auch nicht durch die Flucht in mentale Räume ersetzt werden. Dieser Realismus der gelebten Erfahrung ist der Ausgangspunkt für das Ausstellungsprojekt und führt uns zum Kern dessen, was Heimat unter den Bedingungen des Anderswo sein kann: Das Gefühl, verstanden zu werden, in dem was man war, ist und sein könnte.

Der Ausstellungstitel bezieht sich auf eine Video-Installation von Danica Dakic Role-Taking, Role Making (2006), die mit der Frage „Verstehst Du mich?" endet. Diese Fragestellung ist die Ausgangsfrage dieses auf Dialog angelegten Ausstellungsprojektes. In dem Video passieren unglaubliche Dinge, Bildsprachen und Orte verschränken sich, eine Roma-Theatergruppe in Köln gibt ihre letzte Vorstellung. Auch Laien aus dem Kosovo inszenieren merkwürdig schöne Metaphern. Man spricht Romanes. Das Spiel auf der Bühne und das Leben – wer soll das noch auseinander halten? Die Ausstellung Verstehst Du Das? - Neue-Medien-Kunst aus Südost-Europa widmet sich ausschließlich Videoarbeiten, Installationen und Fotografien von Künstlern, die ihre Wurzeln in dieser Umbruchregion haben und gleichzeitig im westlichen Europa leben und arbeiten. Insbesondere die Arbeiten im Media-, Video- und Filmbereich bieten künstlerische Produktionsformen, die experimentelle Synthesen und eine gewisse Unabhängigkeit von der internationalen Kunstpraxis erlauben. Die Werke von Maja Bajevic (geb.1967 lebt in Paris-Sarajevo), Danica Dakic (geb. 1962, lebt in Düsseldorf und Sarajevo), Esra Ersen (geb. 1970, lebt in London und Istanbul), Stefan Nikolaev (geb. 1970, lebt in, Sofia und Paris) und Milica Tomic (geb. 1960, lebt in Belgrad und Berlin) bewegen sich zwischen dokumentarischer Informationsvermittlung, formal-ästhetischer Strategie und emotionaler Wiedergabe der individuellen Lebenssituation. Sie berühren uns, weil eigentlich sagen: „Versteh’ mich bitte: richtig!".

Es ist aber auch die besondere Ästhetik und Rhetorik, die uns in der Auseinandersetzung mit der Kunst aus Südosteuropa berührt: Der Realismus der gelebten Erfahrung (Kendell Geers, The Work of Art in the State of Exile, in: Milicia Tomic, National Pavilion, La Biennale di Venezi, Venice 2003), ist ein ästhetischer Realismus, der sich einer nachvollziehbaren, lebensnahen, vitalen und oft Energie geladenen Bildsprache bedient. Das Phänomen des Realismus der gelebten Erfahrung und seiner künstlerischen Reflexion ist der inhaltliche Ausgangspunkt für das Ausstellungsprojekt, das zeitgleich im Kunstverein Arnsberg und der Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst Münster eröffnet und gezeigt wird. Unterschiedliche künstlerische Positionen aus südosteuropäischen Regionen zeigen die inhaltliche Eigenständigkeit dieser jungen Kunstszene in der künstlerischen Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Themenstellungen der kulturellen Identität.

Die zeitgenössische Kunst aus Südosteuropa bewegt sich auf einem neuen Kurs. Große thematische Ausstellungen wie In Search of Balkania (2002, Peter Weibel), In den Schluchten des Balkan (2003, René Block) und Blut & Honig - Zukunft ist am Balkan (2003, Harald Szeemann) haben unterschiedliche Aspekte der zeitgenössischen Bildenden Kunst aus süd-ost-europäischen Ländern gezeigt. Verschiedene Biennalen (Istanbul, Cetinje, Periferic), Kunstmuseen und Ausstellungshäuser haben in den vergangenen Jahren immer wieder interessante künstlerische Positionen aus der sich rasant entwickelnden Kunst- und Kulturszene der Regionen und Länder präsentiert. Süd–Ost–Europa kann seither weder länger als unbekanntes Territorium gelten, noch als blinder Fleck betrachtet werden. Eine differenzierte Betrachtung künstlerischer Phänomene und der Austausch auf Augenhöhe ohne den Filter westeuropäischer Vorurteile und Vorstellungen stehen jetzt als Herausforderungen an. Das Ausstellungsprojekt in der Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst Münster und dem Kunstverein Arnsberg knüpft an Themen der "Übersetzung kultureller Identität" und des "kommunikativen Gedächtnisses" (Harald Welzer) an.

Kuratorinnen: Dr. Gail B. Kirkpatrick, Dr. Necmi Sönmez (Kunstverein Arnsberg)

Das Programm der AZKM wird vom Freundeskreis der AZKM unterstützt.