26.9. – 14.11.2004,

Rowena Dring. Landschaften

, AZKM

Die Landschaftsdarstellungen von Rowena Dring wirken mechanisch vereinfacht – wie Werbekampagnen im Offsetdruck. Auf den ersten Blick erinnern die Bilder an ausdrucklose Leinwände einer nach Zahlen gemalten Komposition, gefertigt in einer simplifizierenden Prozedur, die jegliche Emotionalität aus dem künstlerischen Prozess hinausdrängt. Der Vater der Pop-Art Andy Warhol hat dieses Phänomen in seinem Bild Color by Number aufgegriffen und damit einen ironischen Kommentar zu der subjektiven Emotionalität der Kunst seiner Zeit gegeben. Dieser Overclean-Look erlebt gegenwärtig eine Neuformulierung: in den Arbeiten von Rowena Dring – aber auch in den Arbeiten von einigen Malern ihrer Generation, darunter Paul Morrison, Takashi Murakami oder Ingrid Calame. Gemeinsam ist diesen Künstlern, dass sie ihre Formsprache aus einer medialisierten Bilderwelt entwickeln. Keine gestische Expressivität ist zu spüren, als Enkelkinder der Pop-Art-Generation basiert ihre Kunst auf einer vorgefundenen Kultur mit teilweise animierten, stets aber medial veränderten Bildwelten. In dieser Rückführung medial vermittelter Motive in den Bereich autonomer Malerei finden sich gegenwärtig Tendenzen einer künstlerischen Weiterentwicklung der Pop-Kunst.

Wie viele ihrer Zeitgenossen verwendet Rowena Dring Fotovorlagen für die Entwicklung ihrer Bildmotive. Mit überzeugender Konsequenz und einem an traditioneller Landschaftsmalerei geschulten Purismus überprüft sie naturalistische Landschaftsszenarien auf ihre künstlerische Brauchbarkeit. Die fotografischen Landschaftsmotive, die Rowena Dring in einer späteren Produktionsphase mit Photoshop bearbeitet, sind häufig Urlaubsschnapsschüsse, entstanden während ihrer Autotouren und Streifzüge durch scheinbar oder real unberührte Naturlandschaften. Als solche dokumentieren sie die selektive und subjektive Perspektive auf die Natur – erfahren mit dem Auto, gesehen durch die Kamera, bearbeitet auf dem Bildschirm. Hier findet aber auch jene Auseinandersetzung mit der Natur statt, die zur unverwechselbaren Handschrift der Künstlerin führt: einer Auseinandersetzung mit dem Bild, das wir uns von der Natur machen. Doch nun zu Pigment und Pinsel zu greifen, wäre trivial und traditionell.

Mit Stoff, Nähgarn, Schere und Nähmaschine setzt nach der Bildbearbeitung ein Produktionsprozess ein, der die Umrisse von Landschaftspanoramen, in ihren Schattenwirkungen und Reflexionen zunächst dekonstruiert, um sie im nächsten Schritt wieder zu fixieren. Die im Photoshop hergestellten Farbvorlagen werden ausgedruckt und anschließend auf großen weißen Bildpausen 1:1 übertragen. Die Konturen dieses Schemas werden markiert, um sie danach mit dem Bügeleisen auf den Stoff zu übertragen. Ein Zahlensystem verweist auf ein Farbspektrum von über 300 monochromen Stoffballen. Nun beginnt die Arbeit des Näh- und Werkstattteams: Die teils großflächigen, teils kleinteiligen Mosaike müssen ausgeschnitten werden, um sie später auf stabileren Stoffgrund nach einem neuen Untergrundschema wieder aufzubauen. Für den malerischen Kontrast sorgt ein schwarz gesteppter Applikationsrand, der jedes Stoffteil umrahmt und für die Glättung der Bildoberfläche sorgt. Vergleichbar mit Comicfiguren fehlt diesen Bildern jegliche Binnenzeichnung oder nuancierende und modellierende Schattenwirkung. Das Erlebnis von Nähe und Ferne sowie Plastizität wird zum großen Teil durch die aus der Erinnerung angeregte Vorstellungskraft der Betrachterinnen erzeugt. Eigentlich müssten die Motive den visuellen Inbegriff einer romantischen Vorstellung der Natur abbilden, die Wiedergabe einer erhabenen Schönheit, die sich von unwiderstehlichen Sinneseindrücken stimulieren lässt. Aber ihre sinnliche Ausstrahlung ist im Gegenteil von einer merkwürdigen Unnahbarkeit durchdrungen. Die Betrachterinnen tauchen nicht in die Natur ein, sie werden auf merkwürdige Weise zurückgehalten. Denn Bilder stehen im Wege.

Ein Kunstwerk braucht viele Arbeitsstunden und handwerkliche Geduld. Rowena Dring ist weder an dem ästhetischen Reiz einer perfektionierten Handwerklichkeit interessiert, noch interessiert sie sich für die Aufwertung einer typischen Frauenbeschäftigung. Rowena Dring hat ihre Methode mit Stoff zu arbeiten als eine neue methodische Möglichkeit entwickelt, um die medial überstrapazierten Sehgewohnheiten zu testen und neue Seherlebnisse zu erzeugen. Gleichzeitig stellt ihre Kunst die Frage nach den Möglichkeiten eines neuen Klassizismus, eines medial vermittelten Klassizismus, der die tradierten Bildtypen historischer Landschaftsmalerei nicht grundsätzlich verwirft. Rowena Dring arbeitet mit dem synthetischen Spiel von Farben und Formen, das sie zu einem wahrnehmbar naturalistischen Bild zusammenfügt. Damit erfüllt sie eine wichtige Bedingung der klassischen Maltradition. Andererseits stellt sie in ihrer gestalterischen Methode jegliche Selbstverständlichkeit eines klassischen Seherlebnisses in Frage. Ihre künstlerische Strategie entpuppt sich als eine akribische Dekonstruktion eines malerischen Naturalismus. Es ist, als ob der sehende Prozess im Moment der vollendeten Wahrnehmung eines klassischen Naturalismus angehalten würde, so dass die eigentliche Abstraktheit jener Bilder mit einer erstaunlichen Prägnanz und Präsenz vorgeführt wird. Und gerade ihre Verwendung von Stoffen und der Vorgang des Zusammennähens unterstreichen diesen Prozess des Auseinandernehmens und Wiederzusammenführens als das Dekonstruieren vielleicht mehr, als es der Malerei läge. Ein merkwürdiges Gefühl der Zeitlosigkeit durchdringt die Landschaften von Rowena Dring. Solche – schon fast bis zum Überdruss – gesehenen Szenerien erhalten eine neue ästhetische Würde und man wagt es vielleicht zu sagen, dass man das Bild einer Landschaft nochmal als schön empfindet.

Rowena Dring (geb. 1970 in Wellingborough, England, lebt in Amsterdam) ist eine englische Künstlerin und Malerin. Ihre Arbeiten auf Leinwand entstehen durch die Kombination von verschiedenen Medien wie Malerei, Textil-Collage und unter anderem Fotografie. Sie hat am Chelsea College of Art and Design in London und am Goldsmiths College an der University of London studiert. Ihre Arbeiten wurden in vielfältigen Zusammenhängen international gezeigt. Sie hatte Ausstellungsbeteiligungen unter anderem in der Städtischen Galerie im Rathauspark Gladbeck (2004), im Oldenburger Kunstverein (2003) und im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen (1999).

Kuratorin: Dr. Gail B. Kirkpatrick

Das Programm der AZKM wird vom Freundeskreis der AZKM unterstützt.