18.2. – 16.4.2023,

Triple is funny, but double makes the money: Soya Arakawa, Nicola Gördes & Stella Rossié, Olga Holzschuh, Magdalena Los

, Kunsthalle Münster

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Soya Arakawa, Ausstellungsansicht Kunsthalle Münster 2023. Courtesy the artist

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Seit 2020 ist das Stipendienprogramm Residence NRW⁺ der Kunsthalle Münster angegliedert. Nun nimmt der zweite Durchgang des Programms mit der Ausstellung Triple is funny, but double makes the money sein Ende.

Triple is funny, but double makes the money ist ein Sprichwort aus dem Dartsport, das eines Abends fiel, als die Stipendiat:innen von Residence NRW⁺ im Atelier von Nicola Gördes & Stella Rossié – einem alten Schankraum im Residenzgebäude, das liebevoll „Hütte“ genannt wird – Dart spielten. Der Residenzort in Münsters Stadtteil Kinderhaus ist in einem ehemaligen Vereinsheim von SC Westfalia Kinderhaus gelegen. Umgeben von Fußball- und Tennisplätzen, Sprintstrecken, Weitsprungbecken und einem Beachvolleyballfeld ist die Hütte zur Wohn- und Arbeitsstätte für die Bewohner:innen geworden, deren sechs- bzw. zwölfmonatiger Aufenthalt mit der gemeinsamen Ausstellung in der Kunsthalle Münster zu Ende geht. Es ist nicht verwunderlich, dass die hier gezeigten neuen Arbeiten der Künstler:innen Soya Arakawa, Olga Holzschuh, Magdalena Los und des Künstlerinnenduos Nicola Gördes & Stella Rossié, die von Skulptur über Installation bis hin zur Zeichnung und digitalen Malereien reichen, recherchebasierte Prozesse, verschiedene Erzählformen fiktiver oder biografischer Gegebenheiten wie auch popkulturelle Elemente umspannen, sich alle auf verschiedenen Ebenen mit Räumlichkeiten, Blickwinkeln, Perspektivwechseln und Affekten beschäftigen. Mal lie-bevoll, persönlich, einhüllend, verflüchtigend, innehaltend und aktivierend, humorvoll oder bissig, verbreitet sich in der Kunsthalle ein Zustand immersiver Kräfte. Die Werke befinden sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise in einem Spannungsverhältnis zwischen Spurensuche, dem Bedürfnis, Spuren zu hinterlassen, der Suche nach Ver-ortung und dem Impuls, diesen oder jenen Ort wieder abzuschütteln und weiterzuziehen.

In seiner Arbeit 鏡板/Kagami-Ita denkt Soya Arakawa darüber nach, wie eine nachvollziehbare Beziehung zwischen einem:einer Darsteller:in und der Absicht einer Performance hergestellt werden könnte. Im Zuge seiner Recherche hat er damit begonnen, sich mit dem Nō-Theater zu beschäftigen. Eine Besonderheit dieses japanischen Musik- und Tanzdramas ist seine reduzierte, weitestgehend schmucklose Bühnengestaltung, bei der einzig eine zumeist aufgemalte Kiefer die Bühnenrückwand ziert. Das konsequente Erscheinen der Kiefer im Bühnenbild des Nō-Theaters in immer gleicher Gestalt hat Soya Arakawa zunehmend fasziniert. Das bühnenseitige Abbild des Baumes stellt eine bestimmte Kiefer dar, die den Namen Yōgo no Matsu trägt und die man sich im vorderen Teil des Theaters (im Sitzbereich des Publikums) imaginiert. Mit anderen Worten: Die Kiefer, die das Publikum auf der Bühne im rückwärtigen Bereich des Aktionsraums der Schauspieler:innen sieht, ist lediglich das Spiegelbild einer erdachten Kiefer, zu der sich die Darsteller:innen inmitten des Publikums ausrichten. Das heißt, der:die Darsteller:in tritt in Richtung der Kiefer auf – eine Zusammenkunft von Illusion und Halluzination. 鏡板/Kagami-Ita nähert sich diesen Fragen und Phänomenen prozesshaft an. Im Zuge der Ausstellung hat er eine Performance für die drei Kiefern entwickelt: eine Japanische Schwarzkiefer in Hamamatsu (Japan), eine Mazedonien-Kiefer in der Matka-Schlucht (Nordmazedonien) und eine Schwarzkiefer in Münster (Deutschland). Die Arbeit von Soya Arakawa hält drei Handlungsanweisungen bereit, die zu eigenen Performances anleiten.

hide and seek ist eine ortsspezifische Installation von Olga Holzschuh. Für diese wurde eine der Wände mit einer UV-sensitiven Emulsion bestrichen, die auf das Tageslicht in der Kunsthalle reagiert, dieses einfängt und in einem stundenlangen Entwicklungsprozess die betroffene Fläche in ein nuanciertes Blau taucht. Die Cyanotypie – eines der ältesten fotografischen Verfahren zur Herstellung und Fixierung von Bildern – lässt Spuren und Schichten früherer Wandbearbeitungen durchscheinen. Das fragile Aluminiumgerüst der Installation dringt in der Waagerechten, einer Kanüle gleich, in die Wand ein; in der Vertikalen strebt es hinauf zur Decke der Kunsthalle. Als Vorlage der skizzenhaften Konstruktion diente die Fassade jenes Hauses, in dem die Künstlerin große Teile ihrer Kindheit verbracht hat. Die Erinnerung an zurückgelassene Orte ist ein verbindendes Element ihrer Arbeiten. So auch in der Fotografie untitled (48°32'27.0 "N 22°59'40.7 "E), die mit dem von der Künstlerin entwickelten Transferprint-Verfahren auf Seife hergestellt wurde. Einer transparenten Hautschicht gleich birgt das Material die Abbildung des Hauses – ein verblassendes Erinnerungsbild, im Versuch des Festhaltens begriffen. Der Wunsch des Erhaltens oder Konservierens durch Fotografie oder Cyanotypie und gleichzeitig die Einsicht des Verlustes und der Leerstelle markieren eine Dialektik, die sich in der Stabilität und Instabilität der provisorischen Architektur ebenso wiederfindet wie in der Bewertung von Sicherheit und Gefahr, die durch ein hörbares Signal in der Soundarbeit von Olga Holzschuh erfolgt. Seit dem 14. Jahrhundert ertönt vom Turm von St. Lamberti in Münster ein Hornsignal im Zeichen der Sicherheit und des Friedens – geblasen durch eine:n Türmer:in (aktuell durch die Türmerin Martje Thalmann). Jedoch ertönt das Signal nur in die Himmelsrichtungen des Südens, Westens und Nordens, der Osten wird seit jeher ausgelassen. Das fragile Hauskonstrukt von Olga Holzschuh befindet sich im Osten der Installation. Dem gegenüber stehen drei große Skulpturen in Form von Hohlkegeln. Im Raum verteilt markieren sie die drei genannten Himmelsrichtungen: Süd, West und Nord. Über drei Meter hoch erinnern sie an monumentale Sprachrohre, archaisch tönende Instrumente oder auch an große, sich als Versteck anbietende Schilde. Jede halbe Stunde erklingt inmitten der Installation das Hornsignal der Türmerin, das die Bevölkerung ursprünglich über die Sicherheit der Stadt informierte.

Im Sommer 2022 entstanden die Ausstellung Heiße Hütte und die dazugehörige Publikation Kalte Hütte, in der Magdalena Los den Alltag in der Residenz verarbeitet hat. Die dafür entwickelten digitalen Malereien bilden den Ausgangspunkt der neuen Arbeiten für die Präsentation in der Kunsthalle. Als UV-Drucke auf Lederimitat realisiert, spielen sie mit der Idee von Samples, Stoffmustern und Materialproben, anhand derer Textur, Qualität, Design und Farbe eines Stoffes auf eine bestimmte Eignung hin überprüft werden können. Die überdimensionierten Musterbögen, die auf farbig fein abgestimmten Holztafeln angebracht und scheinbar leichtfüßig im weitläufigen Raum der Kunst-halle platziert wurden, befinden sich in einem vermeintlich anhaltenden Auswahlverfahren. Nur auf den ersten Blick bestehen die Musterbögen aus einer Zusammenstellung einzelner Proben, erst bei genauerer Betrachtung offenbaren sie sich als Trompe-l’œil, als ein digital gemaltes Bild, bestehend aus Zeichnungen, Farbverläufen und Satzfragmenten. Die für Musterkarten so maßgebliche haptische Unterscheidbarkeit wird hier unterschlagen und dagegen das Sichten, Vergleichen, Selektieren und Zusammenstellen von Material in den Fokus gerückt. Die für die Werke in der Kunsthalle fixierten Darstellungen, deren Anlass das gemeinsame Leben und Arbeiten in der Hütte war, scheinen jederzeit in neue Konstellationen überführt werden zu können. Der Bezug zum temporären Miteinander im Rahmen des Stipendiums – Sprüche, die gesagt, Möbel, die verrückt, Nägel, die in Wände geschlagen wurden – verleiht den Mustertableaus etwas Ernsthaftes und Verspieltes, in vollem Bewusstsein, dass sich in der Zusammenstellung der nächsten Saison, andere Geschichten ergeben, andere Farben, andere Muster das Bild bestimmen werden.

Der Film Letzte Nacht (Last Night/Dernière Nuit) von Nicola Gördes & Stella Rossié spielt in dem eingangs erwähnten Schankraum, der berühmt berüchtigten Bar der Hüt-te mit dem Namen Darts & Dates und umfasst ein Szenario der absoluten Eskalation, die in Trunkenheit, Mord und Totschlag endet. Die schnittlose Kamerafahrt lässt den Blick der Zuschauer:innen durch das zunehmend verwüstete Setting kreisen, befördert die spiralförmig zulaufende Klimax und trägt zu einem allgemeinen Schwindelgefühl bei. Die höhnisch-verachtenden, misogynen Äußerungen einiger Protagonist:innen treiben die Maßlosigkeit und Grenzüberschreitung ad absurdum. Aus einem harmlosen Discofox, begleitet von einem unschuldigen Lächeln, entwickelt sich eine ausgelassene Polonaise, die alle Nerven reißen lässt – die letzte Nacht in einer dystopischen Welt, die sich auf gefährliche und grausame Weise gegen die Menschen wendet. Die Installation in der Kunsthalle Münster, die die Filmprojektion umgibt, zeigt einen Außenraum, viel-leicht die verlebte Bürgersteigkante vor einer Bar, mit schmuddeliger Sonnenmarkise, Bierkästen als Sitzgelegenheiten und einem überteuerten Kondomautomaten.

Kuratorinnen: Lisa Klosterkötter + Alicia Reymond

Eine Kooperation mit:

Die Ausstellung wird gefördert durch:

Das Programm der Kunsthalle Münster wird unterstützt vom Freundeskreis der Kunsthalle Münster.

Begleitprogramm:

23.2.2023, 18:00 Uhr,

Hütten Tour

, Kunsthalle Münster

24.2.2023, 18:00 Uhr,

Kuratorinnenführung durch die Ausstellung Triple is funny, but double makes the money mit Lisa Klosterkötter + Alicia Reymond

, Kunsthalle Münster

16.4.2023, 15:00 Uhr,

Kuratorinnenführung durch die Ausstellung Triple is funny, but double makes the money mit Lisa Klosterkötter

, Kunsthalle Münster

16.4.2023, 16:00 Uhr,

Performative Lesung the hidden ones von Olga Holzschuh

, Kunsthalle Münster