5.7. – 27.8.2023,

Off the Pedestals: Iván Argote, Eduardo Chillida, Jenny Holzer, Zauri Matikashvili, Joiri Minaya, Leila Orth

, Stadthausgalerie Münster

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Iván Argote, Levitate (Still), 2022, Dreikanal-Video, 15:15 Min

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Den Auftakt einer programmatischen Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum bzw. Fragen von Kunst und Öffentlichkeit der Kunsthalle Münster in der Stadthausgalerie bildet die Ausstellung Off the Pedestals, in der Werke von Iván Argote, Zauri Matikashvili, Joiri Minaya und Leila Orth zu sehen sind. Zudem werden mit Eduardo Chillidas Werk Toleranz durch Dialog (1992), das sich vor den Türen der Stadthausgalerie auf dem Platz des Westfälischen Friedens befindet, und Jenny Holzers Bänken (1987), gelegen im südlichen Schlossgarten, zwei Kunstwerke im öffentlichen Raum in die Ausstellung und ihre Fragestellungen einbezogen.

Off the Pedestals greift aktuelle politische wie gesellschaftliche Auseinandersetzungen mit Krieger- und Kolonialdenkmälern auf, indem besonders damit einhergehenden Fragen nach Identitätspolitiken und Erinnerungspraxen im öffentlichen Raum aufgeworfen und zur Diskussion gestellt werden: Inwiefern haben sich koloniale und imperiale Macht in die Vision der weißen und männlichen Vorherrschaft, die die Denkmäler verkörpern, in die Erinnerungslandschaft unserer Gesellschaft eingeschrieben? Wie können und sollten wir heute mit der Heroisierung von Verbrechen aus der imperialen Vergangenheit umgehen? Welchen verkörperten Erinnerungen steht ein Platz im öffentlichen Raum zu und welchen nicht? Und inwieweit ist es notwendig die fortbestehenden Hinterlassenschaften zu historisieren? Die (künstlerische) Auseinandersetzung mit solch lang verdrängten Fragen bricht das Schweigen über vergangene Verfehlungen und lädt zu einer Diskussion ein. Es entsteht ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs, der auch die eigene Stadtgeschichte ins Blickfeld rücken lässt.

Die Vorstellung, dass gesamte Nationen ausschließlich sich selbst feiern und ehren, scheint aus heutiger Sicht absurd und überholt. Um dabei der Komplexität von Geschichte aufgeschlossen begegnen zu können, gilt es jedoch auch andere Narrative in unser historisches Verständnis zu integrieren. Denn wenn es bei Denkmälern um Erinnerung und Geschichte geht, sollten diese dann nicht horizontale und integrative Orte markieren, an denen verschiedene Vorstellungen unserer Geschichte mit Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft diskutiert werden können? Die Gedanken und der Austausch darüber, wie wir in öffentlichen Räumen kollektiv Erinnerung schaffen und wie auch Wunden sichtbar gemacht – oder vielleicht sogar offengehalten – werden können, bilden die Grundlage der Debatte, aus der sich auch neue künstlerisch-formale Strategien ergeben.

Ausgangspunkt des Nachdenkens bildet ein Werk, das sich auf das unmittelbare Umfeld in Münster bezieht. In seinem Film Ihr Alles, ihr Leben, ihr Blut (2022) setzt sich Zauri Matikashvili mit den hochumstrittenen Krieger- und Kolonialdenkmalen in Münster und dem Kampf um ihre Deutungshoheit auseinander. Einige Menschen kämpfen vor Ort seit 35 Jahren gegen die Botschaften und die Sichtbarkeit der Monumente – lange ungehört. Aus feministischer Perspektive geht Leila Orth in ihrer Installation der traditionellen Formensprache von Denkmalen nach und untersucht die Reproduktion der im öffentlichen Raum zur Schau gestellten Geschichte. Sie befragt Formen von Machtdemonstration, thematisiert dabei Verletzlichkeiten von Individuen und Gesellschaft.

Den Bestandsaufnahmen und Befragungen von Formen der Machtrepräsentation, stehen mit den Werken von Joiri Minaya und Iván Argote Arbeiten gegenüber, die in bestehende Denkmale eingreifen, um sichtbar zu machen, wie diese durch einen räumlichen und ästhetischen Apparat einen Treffpunkt politischer Macht darstellen. Joiri Minaya untersucht in ihren Werken die Identitätskonstruktion von Individuen in transatlantischen Räumen und ihre Hierarchien. Ihr Schaffen begreift die Künstlerin als eine Art der Selbstbehauptung, eine Übung des Verlernens, Dekolonisierung und als Austreiben aufgezwungener Narrative, Kulturen und Ideen. Sie unternimmt mit ihren Arbeiten Versuche, Machtverhältnisse zu sabotieren und eine individuelle Autonomie zurückzugewinnen. Iván Argote spielt in seinen jüngeren Arbeiten mit der Idee des Denkmals, das von der Natur eingeholt wird; er spekuliert und reflektiert zum einen über die Beseitigung und Zerstörung von Denkmälern und zum anderen über andere Arten von Erinnerungspraxen, mit dem Verweis auf die sich stetig wandelnden und verändernden kulturellen Werte und der Betrachtungsweisen, mit denen wir uns ihrer annehmen. Humor und Affekte sind für ihn subversive Instrumente zur Kritik an politischen und gesellschaftlichen Umständen in einer globalisierten Welt. Argote schafft mit seinen Werken Orte der Auseinandersetzung und des Dialogs.

Die Idee des Dialogs ist maßgeblich für das Projekt. Anknüpfungspunkt der Ausstellung ist somit auch das ortsspezifische Werk Toleranz durch Dialog von Eduardo Chillida, das sich auf die in Münster und Osnabrück geführten Verhandlungen bezieht, die 1648 im Westfälischen Frieden mündeten. Das Verhandeln auf Augenhöhe als grundlegendes Prinzip der Diplomatie stand der damals üblichen Niederlage durch Sieg und Unterwerfung gegenüber. Ebendies wurde vom Künstler aufgegriffen und in eine abstrakte Form übersetzt, was nicht bedeutet, dass Chillidas Skulptur den komplexen historischen Ereignissen durch eine verknappte Darstellung nicht gerecht würde; vielmehr hat er einen Ausgangspunkt geschaffen, um eine Art Forum zu kreieren, das einlädt Platz zu nehmen und miteinander ins Gespräch zu kommen.

Jenny Holzers Bänke, von denen zwei Stück nach den Skulptur Projekten 1987 in der Stadt verblieben sind, kommentieren das Kriegerdenkmal von Alexander Frerichmann aus dem Jahr 1923. Formal und inhaltlich nehmen die Bänke Bezug auf den Krieg; ohne Arm- und Rückenlehen erinnern sie an Sarkophage oder Grabmonumente. Gedenktafeln vergleichbar, befinden sich auf den Sitzflächen Inschriften, die nüchtern die Grausamkeiten des Krieges thematisieren: „PEOPLE GO TO THE RIVER THERE IT IS LUSH AND MUDDY TO SHOOT CAPTIVES, TO FLOAT OR SINK THEM”. Die Diskrepanz zwischen Holzers Phrasen und dem Tenor der Heldenverehrung und Trauer über den verlorenen Ersten Weltkrieg wird offensichtlich.

Mit Hilfe teils simpler Gesten, befragen die Künstler:innen der Ausstellung die Autoritäten der geschaffenen Bilder, wodurch nicht nur ein Blick auf die koloniale Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart gerichtet wird sowie auf das nach wie vor problematische Verhältnis zwischen Globalem Norden und Globalem Süden. Off the Pedestals bietet die Möglichkeit, sich mit gelebter Erinnerungskultur auseinanderzusetzen – wobei vermutlich mehr Fragen aufgeworfen als Antworten bereitgehalten werden.

Kuratorin: Merle Radtke
Kuratorische Assistenz: Jolanda Saal

Die Ausstellung wird gefördert durch:

Das Programm der Kunsthalle Münster wird unterstützt vom Freundeskreis der Kunsthalle Münster.

Begleitprogramm:

13.7.2023, 18:00 Uhr,

Führung durch die Ausstellung Off the Pedestals: Iván Argote, Eduardo Chillida, Jenny Holzer, Zauri Matikashvili, Joiri Minaya, Leila Orth mit Jolanda Saal

, Stadthausgalerie Münster

30.7.2023, 15:00 Uhr,

Führung durch die Ausstellung Off the Pedestals: Iván Argote, Eduardo Chillida, Jenny Holzer, Zauri Matikashvili, Joiri Minaya, Leila Orth mit Jolanda Saal

, Stadthausgalerie Münster

9.8.2023, 18:00 Uhr,

Jenny Holzer: Bänke. Führung mit Jana Bernhardt

, Schloss Münster

21.8.2023, 20:00 Uhr,

Screening der Trilogie Ahnen + Künstlergespräch mit Zauri Matikashvili

, Schloßtheater

27.8.2023, 16:00 Uhr,

[Counter-]Monuments. Memory Practices in Public Space. Prof. Dr. Ursula Frohne im Gespräch mit Merle Radtke

, Stadthausgalerie Münster

27.8.2023, 15:00 Uhr,

Kuratorinnenführung durch die Ausstellung Off the Pedestals: Iván Argote, Eduardo Chillida, Jenny Holzer, Zauri Matikashvili, Joiri Minaya, Leila Orth mit Merle Radtke

, Stadthausgalerie Münster