27.6. – 5.9.2004,

Firewall. Jonas Dahlberg, Andreas Köpnick, Julie Mehretu, Aernout Mik, Julia Scher, Markus Vater, Magnus Wallin, Johannes Wohnseifer,

, AZKM

Unter einer Firewall (wörtlich Brandschutzmauer) wird eine Sicherheitsschwelle zwischen Computer-Netzen verstanden, die fremde Eingriffe abwehren soll. Eine Firewall ist die einzige Möglichkeit, Unbefugten Zutritt zu den eigenen Daten zu verwehren, eine digitale Tresortür, die vor Diebstahl, Manipulation und Spionage schützen soll. Dies klingt in unserer computergewöhnten Welt inzwischen so selbstverständlich, dass dabei das zugrundeliegende Bild einer Feuerwand aus dem Blick verloren gehen könnte; verbindet der Begriff Firewall doch zwei ganz gegensätzliche Welten: die archaische Urängste freisetzende Vorstellung einer alles Materiehafte verzehrenden Flammenwand und die nahezu ohne physische Materialität auskommende, sich uns vollkommen abstrakt darstellende digitale Schutzvorrichtung computerisierter Kommunikationssysteme.

Das Ausstellungsprojekt Firewall greift beide Aspekte auf: Faszination und Angst vor der Übermacht einer physischen Gewalt ebenso wie – angesichts der noch immer viel zu wenig bekannten Kehrseite des globalen und grenzenlosen Datenverkehrs per Internet, Handy oder E-Mail – vor der schleichenden, weil unsichtbar und abstrakt bleibenden Bedrohung durch elektronische Spionage, dem zunehmenden Verlust an Privatsphäre. Nahezu unbeachtet von der noch immer unter Medieneuphorie stehenden Öffentlichkeit, diskutieren Experten längst die neue Herausforderung, die gigantische Lauschsysteme für die Freiheit unserer Gesellschaft bedeuten. Zweifel an dem täglichen Einsatz flächendeckender Abhörsysteme mit denen, zum Teil unter dem Druck terroristischer Anschläge, auch ein Großteil privater Telefonate und E-Mails systematisch abgefangen werden, sind kaum noch möglich.

Ein gutes Jahrzehnt nach Ende des kalten Krieges hat das Thema Spionage heute erneut an Brisanz gewonnen, aber unter veränderten Bedingungen. Nicht mehr die direkte Observierung, wie sie beispielsweise der Filmklassiker The third man (1949) meisterhaft ins Bild setzte, steht im Vordergrund; weniger das heldenhafte und genrebildende Einschleusen von Spion*innen, das direkte Beschatten, die heimliche Konspiration führt an die Quellen geheimer Daten. Big brother without a cause? titelte BBC News am 6. Juli 2001 einen Bericht über das satellitengestütze Abhörsystem Echolon. Millionen von Daten, Telefonaten oder E-Mails können mit diesem ursprünglich der angolamerikanischen Kontrolle militärischer Aktivitäten des Ostblocks dienenden Lauschsystem gefiltert und kontrolliert werden: anonym, unbemerkt und unter weitgehender Ahnungslosigkeit Abertausender von potenziell Betroffener; ein unüberschaubares Interessengeflecht, das – selbst angesichts terroristischer Gefahrenpotenziale – weitgehend ohne klare Fronten bleibt. Sicherheit und Anspruch auf Unantastbarkeit von Privatheit bzw. freier unkontrollierter Meinungsäußerung geraten in einen schwer auflösbaren Widerspruch. „Der Bürger wird rundum überwacht – und findet nichts dabei", so heißt es auf der Titelseite der ZEIT vom 31. Juli 2003: „Nicht der Große Bruder beobachtet uns, sondern viele kleine Brüder", statt eines Überwachungsstaates bringe uns die Überwachungsgesellschaft dazu, den Verlust an überwachungsfreien Schutzräumen als Frucht eigener Überzeugung anzusehen.

Der diesem Phänomen zugrundeliegende Strukturwandel wird in der Ausstellung Firewall von acht Künstlerinnen untersucht; nicht nur in seiner wörtlichen Dimension, sondern ebenso im übertragenen Sinn: die Firewall, verstanden auch als psychische Grenzziehung der eigenen Identität. So ist der stilistische wie thematische Bogen des Verständnisses von Firewall bewusst weit gespannt. Dies gewährleisten – trotz aller Verwandtschaft des konzeptuell ausgerichteten Ansatzes – die stilistisch sehr unterschiedlichen Handschriften der eingeladenen Künstlerinnenpersönlichkeiten.

Schon beim Eintritt in die Ausstellungshalle wird man umfangen von dem elektronisch aufgerüsteten Käfigensemble der Amerikanerin Julia Scher (1954): ein künstlerischer Hochsicherheitstrakt, der die Ambivalenz von Schutz und Überwachung auch physisch erfahrbar macht; Eingesperrt oder ausgesperrt, geschützt oder gefangen? Links davon ein separates Raumensemble, in dem der Niederländer Aernout Mik (1960) eine psychologisch surreale Aufladung einer Überwachungssituation vornimmt. Die Betrachterinnen sind Objekt wie Subjekt einer nahezu undurchschaubaren Überwachungssituation in zwei identischen Raumabteilen. Der Kölner Andreas Köpnick (1960) stellt unsere Technikgläubigkeit in Sachen Schutz und Sicherheit in Frage: Mit skulpturaler Metaphorik lässt er in einem Bassin ein schwimmendes U-Boot internet- wie kameragesteuert und dennoch – oder gerade deswegen? – vergeblich gegen die verspiegelten Grenzen seines Beckens anlaufen. Johannes Wohnseifer (1967) aus Köln kommt dagegen ganz ohne Hightech aus. Ein Ensemble aus Spielplatzgerüsten, hölzernen überdimensionierten Playstation-Geräten und Aluminiumabgüssen der Styroporverpackungen von Macintosh-Rechnern ist um einen in orangeroter Signalfarbe gestrichenen Raum gruppiert: Eine Blackbox, leicht angehoben und nur im Kriechgang zu betreten. Darin acht heute geradezu vorsintflutlich anmutende Computergrafiken der Gruppe Kraftwerk aus dem Jahr 1981; der schillernde historische wie skulpturale Kern eines spielerisch überzogenen Sicherheitsparcours rund um den Computer. Der Schwede Jonas Dahlberg (1970) bricht am direktesten in die Firewall-geschützte Intimsphäre der Besucherinnen ein: Für seine Safe Zone lässt er Überwachungskameras im Toilettenbereich installieren. Endlich ein sicherer Abort? Wären da nicht jene zugeschalteten Monitore, die gut einsehbar im Ausstellungsbereich den direkten Blick auf die WC-Räume für jede/n freigeben. Oder bilden sie nur den Blick auf die im Vorraum installierten Modelle der Toilettenräume ab? Der schwedische Künstler Magnus Wallin (1965) entführt die Betrachter*innen in seiner neuen Videoprojektion in die künstlich animierte Welt eines großen Archivs. Doch trotz ständiger Kameraüberwachung scheinen die Dinge außer Kontrolle geraten. Ein Skelettarm greift ins Leere und wird von einem rasenden Rollstuhl befreit, eine Wirbelsäule marschiert an den Magazinschränken vorbei und skurrrile Steineier rumpeln durch die endlos scheinenden Gänge: Im scheinbar perfekten Schutz der Sicherungsanlagen nimmt die Welt skurrile Lebensformen an. Schließlich kommt die Malerei zu Wort: Der Düsseldorfer Markus Vater (1970) interpretiert in der für ihn charakteristischen Mischung aus Comic und malerischen Verve das Verhältnis Mensch und Web. Mit bissig ironischem Unterton setzt er seinem Diptychon ein Sperrholz-Memorial für einen Hacker entgegen: Tonight I hacked into the computer of the Chinese Foreign Ministry and replaced everywhere the word 'revolution' with the word 'chocolate'. Schließlich gemahnt die in Addis Abeba gebürtige und in New York lebende Malerin Julie Mehretu in ihrem monumentalen Wandbild Auge des Ra an jene hochtechnologisierten und allmächtigen Militäroperationen, die ferngesteuert aus der Luft ihre Treffer setzen. Ein virtuos mit tuscheartigem Pinselzug in Szene gesetztes Schlachtenbild; eine dramatisierende Herausstellung jenes Ortes, an dem die entscheidenden Schlachten – mit und gegen die Firewall – heute geführt werden: der Ort der Überwachung im Fokus des technisierten Blicks. Doch im Zentrum dieses Blicks steht der Mensch; zum Beispiel jener, den Markus Vater in seinem Bild direkt gegenüber als einsames und jeglichen Schutz beraubtes Individuum den endlosen Weiten des Weltraums - oder ist es nur das Web, das Netz der neuen Welt ? – entgegenstellt.

Unter dem Titel In der Werkstatt werden einige der teilnehmenden Künstlerinnen und Autorinnen während der Laufzeit der Ausstellung eingeladen, ihre Arbeit im Zusammenhang mit dem Leitthema der Ausstellung vorzustellen.

Kurator: Dr. Martin Henatsch

Das Programm der AZKM wird vom Freundeskreis der AZKM unterstützt.