11.2. – 9.4.2006,

Face to Face. Künstlerselbstporträts

, AZKM

Face to Face: von Angesicht zu Angesicht. Dürfen wirklich nur Kinder, Verliebte und Duellantinnen so starren, sich gleichzeitig enthüllen und verbergen? Der direkte Blick des Malers aus dem Bild hat Tradition: Rembrandt, Van Gogh, Max Beckmann, Picasso – seit es Porträtkunst gibt, haben Künstlerinnen ihr Selbstporträt in Verbindung mit ihren künstlerischen Attitüden gebracht. Als sichtbares Markenzeichen war das Selbstporträt aber stets nur so stark wie seine kritische Selbstbefragung: Wer bin ich? Was ist gut, was ist schlecht? Was ist öffentlich, was privat? Aber: Kann ein Selbstporträt auch scheitern? Die Besucherinnen können diese Frage nur selbst beantworten. Doch zunächst müssen sie den Blicken der Künstlerinnen standhalten. Drei Selbstporträts kommen frisch aus dem Atelier: So-Yeun Lee, Christoph Schellberg und Heike Weber liefern für die Ausstellung in Münster jeweils neue Selbstporträts, für Heike Weber ist es das erste direkte Selbstbildnis überhaupt. Die jüngste Künstlerin, So-Yeun Lee, gehört zu den SpeicherII-Künstlern: ihr Selbstporträt hatte den kürzesten Weg. Das Selbstporträt von Karen Kilimnik nahm den längsten Weg. Me getting ready to go out to a rock concert with Bernadette in Moscow, von 1977 gehört zu den Me-Bilder der Künstlerin und ist das einzige in Europa befindliche Selbstporträt. Fünf der 30 Selbstporträts konnten aus Sammlungen aus Münster und Umgebung ausgeliehen werden.

Grundlegend für die Auswahl der Künstlerinnen war die Darstellung einer großen Spannbreite von stilistischen und formellen Positionen – von einem fast fotorealistischen Naturalismus bis hin zu einer Abstraktion, die die Erkennbarkeit der dargestellten Person fast völlig vernichtet. Gerade in der Verbindung mit der traditionellen Bildgattung Porträt, ausgeführt mit den traditionellen Medien Malerei und Zeichnung, steht die Beschäftigung mit dem „Ich" in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der handwerklichen Auseinandersetzung, dem eigenen Stil und den konkreten medialen Bedingungen. Die Künstlerinnen arbeiten dieses Ringen um die eigene Identität in anschaulichen bildnerischen Aussagen ab – dem Selbstporträt als Kunstwerk. Nicht nur die Frage nach der eigenen Identität, auch die Rechtfertigung und Ausdruckskraft dieser klassischen künstlerischen Gattung steht zur Diskussion. Die Künstlerinnen sind Modell und Malerin/Zeichnerin zugleich. Das Ringen um die Hervorbringung eines Selbstbildnisses wird in doppelter Hinsicht für die Künstlerinnen ein Ringen um die eigene Existenz. Denn was sie tun und was sie sind, strebt im Selbstporträt nach einer existenziellen Einheit.

Was ist Spiel? Was ist ernst? Was ist Schein? Was ist Wirklichkeit? Alle Künstlerinnen der Ausstellung Face to Face beschäftigen sich auf ihre Weise mit der menschlichen Physiognomie und ihren wieder erkennbaren Merkmalen. In unterschiedlichen Spielarten geht es dennoch darum, ein individuelles „Gesicht“ zu zeigen. Im Zeitalter medialer Reproduzierbarkeit ist das Abbild des eigenen Gesichtes häufig von Anonymität und dem Verlust seiner Aussagekraft geprägt. Das öffentliche Gesicht gilt in vielen Fällen lediglich als Identifikationsmerkmal, wird zum Passbild reduziert. Jegliche Spur eines seelischen Innenlebens, einer subjektiven emotionalen Identität wird dem Zweck öffentlicher und eindeutiger Erkennbarkeit geopfert. Das konventionelle Porträt mag manchen Künstlerinnen daher als belastet und künstlerisch unbrauchbar gelten. Deshalb verzichten viele zeitgenössische Künstler*innen auf die Darstellung ihres eigenen „Gesichtes“ und benutzten Artefacte als Stellvertreter für das Ich. Etwa wenn Tracy Emin Gegenstände aus dem persönlichen Gebrauch benutzt, um ein „Porträt“ ihres persönlichen Lebenszustandes und der Situation ihrer seelischen Beschaffenheit zu „zeichnen“. Dennoch bleibt die Frage nach dem „Wer bin ich?" treibende Kraft. Mit der Ausstellung Face to Face. Künstlerselbstporträts wird die Frage nach der persönlichen Identität zugespitzt und auf ihre traditionellen Wurzeln zurückgeführt.

Die Ausstellung Face to Face. Künstlerselbstporträts sucht den Blickkontakt mit den Besucherinnen. Die Blicke der Künstlerinnen aus dem Bild und die Suche der Betrachterinnen in dem Bild sind der Ausgangspunkt eines vieldeutigen Dialogs. Die Künstlerinnen suchen Mitstreiterinnen in der Erkenntnisschleife von Selbstreflexion, ambivalenter Identität und komplexer Alltagswirklichkeit. Die Frage nach der Identität bleibt eine offene Versuchsanordnung. Im Spiegel von Selbstzerstörung und Selbstkonstruktion gewähren die gezeigten Porträts scheinbar intime Einblicke in das Künstlerinnenleben. Doch verlangt die in Aussicht gestellte Intimität nicht nach einer kritischen Revision des Verhältnisses von Privatem und Öffentlichem? Wie authentisch ist das Rollenspiel der Künstler*innen? Und: Welche Rolle spielt der Betrachter in dieser Rezeptionskette?

Teilnehmende Künstler*innen: Philip Akkerman (geb. 1957), Marijn Akkermans (geb. 1975), Anton Henning (geb. 1964), Karen Kilimnik (geb. 1962), Elke Krystufek (geb. 1970), Jonathan Meese (geb. 1970), Esther Rutenfranz (geb. 1967), Christoph Schellberg (geb. 1973), Anja Schrey (geb. 1967), So-Yeun Lee (geb. 1971), Heike Weber (geb. 1962), Christoph Worringer (geb. 1976).

Kuratorin: Dr. Gail B. Kirkpatrick

Das Programm der AZKM wird vom Freundeskreis der AZKM unterstützt.