9.12.2023 – 10.3.2024, Dominique White
, Kunsthalle Münster
In der Begegnung mit den geisterhaften Skulpturen Dominique Whites stellt sich ein Gefühl ein – schwankend zwischen Schwere und Leichtigkeit wird Erinnerung kreiert, kann erfahren werden.
Basierend auf ihren fundierten Recherchen befasst sich die Künstlerin mit Schwarzsein in seinen konzeptionellen und materiellen Implikationen. Ihre Skulpturen fungieren als Materialisierung Schwarzen Lebens jenseits seiner subjektiven Grenzen, als Leuchttürme oder Gefäße einer ignorierten Zivilisation, die als staatenlos definiert wird. Sie geht dem Fortbestehen dessen nach, was in uns und um uns herum materiell verschwunden ist. In ihren Werken verschränkt sie Theorien der Black Subjectivity, des Afro-Pessimismus und der Hydrarchie – die Struktur, durch die imperiale Regierungen ihre Macht an Land behaupten, indem sie die Ozeane beherrschen – mit den nautischen Mythen der Schwarzen Diaspora zu einem Begriff, den sie als „Shipwreck(ed)“ definiert, ein reflexives Verb und ein Zustand des Seins.
Im Nirgendwo, das von den gespenstischen Ruinen Schwarzer Leben bewohnt wird, genauer gesagt im Abgrund des Atlantiks, existiert ein lebendiges Vokabular, das immer wieder fantastische Kreaturen, Mythen und Fiktionen hervorbringt, die aus der undenkbaren Vereinigung des ungeborenen Kindes der Versklavten und der Schiffbrüchigen hervorgehen. Die Skulpturen von Dominique White sind Manifestationen dieser bedeutungsvollen, wenn auch enteigneten Äußerungen. In ihrem Werk greift sie verschiedene Legenden auf, die sich im Wasser abspielen und dort ihren Grund haben.
Ihre Werke fungieren als abstrakte Gedenkskulpturen, die wirken, als seien sie dem Atlantik entnommen, Monumente einer Unterwassernation, die aus gesunkenen versklavten Menschen besteht. Viele Schwarze Zukünfte werden im Weltraum oder unter Wasser imaginiert. Whites Forschung ist inspiriert von den Klängen des Detroit Techno, wobei sie sich vor allem auf afrofuturistische Erzählungen (im Raum, vor allem aber unter Wasser) bezieht, wie sie von DJ Stingray, Drexciya und Tygapaw geschildert werden. Ihre Recherchen gehen über das Greifbare hinaus: Sie ist neugierig auf die Zerstörung und den Mythos, den die Wirbelstürme in der Karibik im Meer hinterlassen. Ihr visuelles Vokabular kombiniert die Nachahmung eines verlassenen Schiffes auf See mit zerstörten Segeln, maroden handgeflochtenen Netzen, verstümmelten Ankern und zerschlissenen Bojen mit Bast und Kaurimuscheln, die wie in ein gespenstisches Leichentuch aus Kaolin gegossen sind und von diesem umhüllt werden. Auch Fischerei- und Walfangspeere, die vom Salzwasser langsam zersetzt wurden, sind wiederkehrende Elemente.
White erweitert die Ikonografie des verwendeten Materials ebenso wie das Medium Skulptur als solches. Sie nutzt die kraftvolle Vereinigung der Materialien als Mittel, um die Motive von ihrer ursprünglichen Funktion zu lösen und sie als Körper für den Protest sowie Widerstand neu zu definieren. Ihre Skulpturen beschreiben die Schiffswracks als Versuche, die Hydrarchie zu zerstören. Die Verletzlichkeit ihrer Skulpturen ist kompromisslos. Als zerbrechliche Gebilde balancieren die skulpturalen Körper zwischen den Zuständen der Erhaltung, des Verfalls und der Zerstörung; Geister unter Geistern. Es ist eine aktive Ablehnung von Autorität und Auslöschung und ein Protest gegen das Fortbestehen in einem System, das sich auf die Entmenschlichung und Instabilität von Schwarzsein stützt. Sie verkörpern die Ablehnung einer Zukunft, die auf der Gewalt des Kolonialismus fußt. Dominique Whites Skulpturen sind ein Spiel mit Erinnerung und Metamorphose. In ihren unvorhersehbaren Formen hält das Verschwundene im Rahmen ihrer ersten Einzelausstellung in einer deutschen Institution Einzug in die Räume der Kunsthalle Münster.
Dominique White (geb. 1993 in Großbritannien) ist Absolventin der Goldsmiths University of London und der Central Saint Martins. Zu ihren jüngsten Ausstellungen gehören May you break free an outlove your enemy, La Casa Encendida, Madrid (2023); Statements, Art Basel, Basel (2022); Love, Bold Tendencies, London (2022); cinder oft he Wreck/les cendres du naufrage, Triangle France, Marseille (2022); Techno Worlds, produziert vom Goethe-Institut, Art Quarter Budapest (2021); Possédées, MO.CO, Montpellier (2020–21); Boundary + Gesture, Wysing Arts Centre, Cambridge (2019). White wurde 2019 in Verbindung mit ihrer Einzelausstellung bei VEDA, Florenz (2019) mit dem Roger Pailhas Prize ausgezeichnet und erhielt 2020 Preise von Artangel und der Henry Moore Foundation. In den Jahren 2020 und 2021 war White zu Gast in Sagrada Mercancía (Santiago, Chile), Triangle France – Astérides (Marseille) und La Becque (La Tour-de-Peilz). White arbeitet nomadisch.
Die Ausstellung wird gefördert durch:


Das Programm der Kunsthalle Münster wird unterstützt vom Freundeskreis der Kunsthalle Münster.