23.9. – 11.10.2015,

and in the meantime a latte macchiato: Johanna Billing, Persijn Broersen + Margit Lukácz, David Hahlbrock + Robert Olawuyi, Jan Hoeft, Alwin Lay, Inge Meijer, Jana Kerima Stolzer, Britta Thie

, Kunsthalle Münster

Bereits zum dritten Mal ist das Filmfestival Münster mit einer Ausstellung zu Gast in der Kunsthalle Münster. Mit acht Positionen der zeitgenössischen Videokunst stellt die Schau die Frage nach kollektiv erfahrenen Übergangszuständen.

Worauf warten wir noch? In gewisser Weise verweist diese Frage auf einen Übergang, einen Aufbruch in etwas mehr oder weniger Unbekanntes als kollektive Erfahrung. Der Weg vom Zögern zum Aufbrechen konfrontiert uns mit Erwartungen, Hoffnungen, aber auch mit Zweifeln und Unentschlossenheit. Dieser Gedanke bildet die Grundlage für die Auswahl der acht Positionen zeitgenössischer Videokunst, die in der Kunsthalle zu sehen sind. Eine Gesellschaft in der Schwebe, unentschlossen, zwischen Spektakel und Langeweile hin- und hergerissen. Eine diffuse Sehnsucht nach Authentizität spiegelt sich in emotional aufgeladenen Warenwelten und medialen Utopien wider. In diesem Spannungsfeld bewegen sich die ausgestellten Videoarbeiten auf unterschiedliche Weise.

„The generation of our parents brought the revolution. They did everything for us and taught us that we need not to worry about anything", so beschreibt Johanna Billing das Lebensgefühl ihrer Generation. Ihre Arbeit Project for a revolution bezieht sich auf die berühmte Eröffnungssequenz aus Michelangelo Antonionis Zabriskie Point (1970). Doch anstelle hitzig aufgeladener Diskussionen, scheint die Gruppe Studierender in ihrem Film auf irgendetwas zu warten. Den aufgeheizten Emotionen und der latenten Gewalt des Filmklassikers stellt die schwedische Künstlerin eine Atmosphäre des Stillstands gegenüber – der jedoch von einer kaum greifbaren Spannung erfüllt ist.

Warten, dass etwas passiert – darum geht es auch in Jan Hoefts Video Exit Strategies (2014). Schwerelos und ohne ein Geräusch kreist eine Drohnenkamera über menschenleeren Notausgängen und Feuertreppen. Eine Stimme aus dem Off hofft auf eine kleine Katastrophe – ein leichtes Erdbeben, ein Feueralarm – aber natürlich ohne dass jemand verletzt wird.

Was passiert, das bleibt in Alwin Lays Arbeiten bis zum Ende offen. Sein Film Ballon zeigt einen Versuchsaufbau: Eine gefüllte Flasche balanciert auf einem Ballon, der von einem Glas gehalten wird. Daneben steht ein Teelicht, dessen Docht an einer Wunderkerze anliegt. Während die Wunderkerze abbrennt steigt die Spannung: Wann wird der Ballon platzen?

Dass gerade im Warten auch ein Potenzial liegt, macht die Arbeit von Robert Olawuyi und David Hahlbrock deutlich. In extremer Zeitlupe fährt die Kamera um den Brunnen der Völkerfreundschaft auf dem titelgebenden Berliner Alexanderplatz. Menschen ruhen sich in der Mittagspause aus, Tauben bewegen sich langsam durch das Bild und im Hintergrund drehen sich die Shops und Kaufhäuser mit. Projiziert auf einen gebogenen Screen ermöglicht die Arbeit einen detaillierten Blick auf die Zwischenzustände der urbanen Situation und die kleinen Gesten des Neben- und Miteinanders.

Wie ein roter Faden zieht sich die Frage nach der Vermittlung von Realität durch Bilder durch die Ausstellung. So verdichtet das Amsterdamer Künstlerduo Persijn Broersen und Margit Lukács die sprichwörtliche Bilderflut des Fernsehens zu einer hypnotischen Videoarbeit. Schwerelos schwebt die Kamera durch eine absurde Medienlandschaft, in der Leichensäcke und Ausgehviertel, gepflegte Vororte und fliehende Menschen, zielende Polizisten und lächelnde Politiker unterschiedslos vorbeiziehen.

Auch in Britta Thies Arbeit HAVING A COKE W U (2014) gewinnen die Bilder die Oberhand. Zugrunde liegt Frank O’Haras Liebesgedicht Having a coke with you, in dem der Dichter beschreibt, wie neben der realen Begegnung mit einem geliebten Menschen selbst die großartigsten Kunstwerke plötzlich blass erscheinen. Doch während Britta Thie es im Film rezitiert, klappen, schieben und schweben immer neue und anders gestylte Versionen der Künstlerin ins Bild, die die Aufmerksamkeit der Betrachter*innen einfordern.

Was ist echt, was ist künstlich – diese Frage wirft auch Inge Meijers Rechercheprojekt Grand Tour auf. Die Künstlerin bereist Orte, an denen touristische Erlebniswelten die Sehnsucht nach einer Flucht aus der "normalen Welt" versprechen. Ein tropisches Inselparadies mitten in der brandenburgischen Provinz oder holländische Windmühlen an der türkischen Küste – scheinbar wahrgewordene Utopien, die einen Vorgeschmack auf die Zukunft der Freizeitindustrie geben.

Eine Umwelt, die sich automatisch den Bedürfnissen und Vorlieben des Individuums anpasst – für Jana Kerima Stolzer liegt diese Vorstellung schon in greifbarer Nähe. Untitled Progress befasst sich mit der Transformation von Gebrauchsgegenständen in intelligente Körpererweiterungen. Responsives Design und eine schmeichelnde Haptik stellen eine persönliche Bindung zwischen Produkt und Kunden her; virtuelle Speicher bieten Raum für Erlebnisse und Gefühle.

Und in der Zwischenzeit noch einen Latte Macchiato… Wartezeiten und Übergänge können langweilen, nerven und abstumpfen. Als offene Möglichkeitsräume scheint ihnen jedoch gleichzeitig auch eine gewisse kreative Energie innezuwohnen – ob und wie sie freigesetzt wird, bleibt abzuwarten.

Eine Ausstellung im Rahmen des Filmfestivals Münster 2015.

Das Filmfestival Münster wird gefördert durch die Stadt Münster, das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, die Film und Medien Stiftung NRW, die Kulturstiftung der Sparkasse Münsterland Ost und das Königreich der Niederlande. Die Kunsthalle Münster dankt Saturn, Wilhelm Westholt GmbH.

Das Programm der Kunsthalle Münster wird unterstützt vom Freundeskreis der Kunsthalle Münster.