3.3. – 13.5.2012,

about:blank: Lonnie van Brummelen, Bernhard Kahrmann, Germaine Kruip, Noor Nuyten, Wilfredo Prieto, Wilhelm Sasnal, Ariel Schlesinger

, Kunsthalle Münster

about:blank ist eine Gruppenausstellung, die Film, Installation, Fotografie und Skulptur umfasst. Die gezeigten Arbeiten stellen grundlegende Fragen zu Sichtbarkeit und der Auseinandersetzung mit den Repräsentationsmechanismen von Kunst. In welcher Beziehung steht das in einem Kunstwerk angelegte und von diesem dargebotene Sichtbare zur Wahrnehmung? Welche Rolle spielen individuelle Sehgewohnheiten, Vorstellungen, Erwartungen, aber auch Stimmungen? Und wie verhält es sich mit der Bedeutungsfindung in diesem Zusammenhang? Die Beiträge der Ausstellung verbindet eine Rhetorik des Prozessualen, des Flüchtigen oder Ephemeren – Kategorien, die nicht nur die physische Präsenz der Arbeiten unterwandern und gleichsam diese den Versuchen mentaler Habhaftwerdung entziehen, sondern sie auch sonderbar selbstreferentiell erscheinen lassen.

In ihrer Tendenz zu formalen Darstellungsfiguren und konzeptuellen Ansätzen verheimlichen die Arbeiten ihr Gemachtsein nicht und wirken auf der Material- und Produktionsebene wenig komplex. Diese vordergründige Einfachheit fordert ihre Betrachtung und Deutung jedoch geradezu heraus und konfrontiert den Betrachter*innen mit ihren eigenen Erwartungen oder Sichtweisen. Allein der Augenblick des Schauens oder Hörens vermag einen überraschenden Denkraum zu öffnen, in dem das Wechselspiel beziehungsweise Spannungsverhältnis zwischen dem Kunstwerk und seiner Betrachtung bildwert zu einer sinnlich poetischen Erfahrung werden kann. Indem die Arbeiten sich plötzlich umgekehrt als Figuren ihrer eigenen Wahrnehmung ausweisen, spiegeln sie nicht zuletzt den Prozess des Sehens und Denkens selbst wider. Dabei werden die unterschiedlichen Wahrnehmungsfiguren von den Arbeiten selbst erzeugt: Sei es dadurch, dass alltägliches und vertraut erscheinendes Material einen nahezu magischen Moment auszulösen vermag. Oder, dass die Imagination der Betrachter*innen selbst zum eigentlichen Bild wird und dass flüchtige Prozesse wie ephemere Phänomene ein ganz konkretes Erlebnis hervorrufen. Ungeachtet dieser Referenzen an die Wahrnehmung, bleiben die Arbeiten aber immer auch autonom. Verbindend in diesem Spektrum ist das Moment sinnlicher, poetischer Erfahrung, insofern, als dass sich die Arbeiten in ihrer materiellen Reduziertheit in den Gedanken der Betrachter*innen fortzusetzen vermögen.

Bernhard Kahrmanns (geb. 1973 in Geislingen, lebt in Stuttgart und Berlin) Arbeiten fragen nach dem, was wir sehen und dem, was wir glauben zu sehen. Phänomene wie Licht und Schatten werden zur Form und bilden eine Gemengelage unterschiedlichster Seheindrücke durch die Überlagerung von Material und Medien. Seine Bodenarbeit Untitled (2011) wirkt in ihrer Erscheinung als eine auf dem Boden liegende Formation kopierter Blätter nahezu lapidar und erzeugt damit zugleich ihre Komplexität an Seh- und Wahrnehmungsmöglichkeiten. Untitled fordert die Betrachter*innen heraus, was sich als sichtbar vorgibt, zu hinterfragen und berührt damit grundlegende Fragen zur Kunst. In diesem Sinne markieren die Arbeiten Kahrmanns eine Ambivalenz, die es erschwert, eindeutige Aussagen zu treffen – trotz ihrer formalen Logik heben sie im Prozess des Sehens unsere Wahrnehmung aus den Angeln. Dass solche wechselhaften Phänomene wie Licht und Schatten in den Arbeiten fixiert sind, schreibt den Bildern eine gewisse Poesie ein. Als schienen diese Prozesse selbst fotografisch eingefangen, stehen die Arbeiten stellvertretend für den Augenblick in der Schwebe zwischen Verflüchtigung und Verfestigung.

Dieser ephemere Bestand des Sichtbaren ist auch ein roter Faden in den Arbeiten von Germaine Kruip (geb. 1970 in Castricum (NL), lebt in Amsterdam). Die Installation Counter Schadow II (2008), besteht aus einem Mobilé unterschiedlicher Formen, die durch Licht angestrahlt einen Schatten und damit ein weiteres Bild auf die Wand werfen. Auf den ersten Blick erscheint der Schatten wie ein beiläufiger Effekt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung aber als kunsthistorische Referenz. Handelt es sich doch um einen Verweis auf Counter Composition V von Theo von Duisburg, Mitbegründer der De Stijl Bewegung. Kruip hat die geometrischen Elemente des Avantgarde Werks kopiert und neu konstruiert, um die inhärenten Kompositionselemente sowie Ideen zu hinterfragen.

Notwendiger Bestandteil der Arbeit Exhibition in the Hand (2012) von Noor Nuyten (geb. 1986, lebt in Brüssel) sind die Ausstellungsbesucher*innen. Die Soundinstallation setzt minimale Elemente wie Text und Ton ein und inszeniert die Anwesenheit des Publikums. Eine Stimme nimmt die Besucher*innen mit auf eine Führung durch eine imaginäre Ausstellung, deren Ort allein in der Vorstellung der Zuhörer*innen liegt. Für Münster hat die Künstlerin einen neuen Text verfasst, der Teile der realen Ausstellung aufgreift. Das Abtasten des Vorstellungsvermögens durch den Einsatz von Sprache ist ein grundlegendes Thema in den Arbeiten Nuytens. Die Unmittelbarkeit des Textes steht im starken Kontrast zur Interpretation und letztlich zur Bedeutungsebene – eine Dissonanz, die sich auch im zweiten Beitrag der Künstlerin wiederfindet: Measuring Space (2010) erinnert an eine absurd analoge Konstruktion zur Vermessung eines Raums. Ein mit Helium befüllter Ballon ist am oberen Ende eines Maßbandes befestigt und hält es so aufrecht. Verflüchtigt sich das Gas mit der Zeit durch die Ballonhaut, neigt sich das Band zu Boden und die scheinbare Funktion des Ballons ist hinfällig. Abhängig vom jeweiligen Zustand des Ballons bzw. vom Zeitpunkt der Betrachtung verlagert sich der Schwerpunkt der Wahrnehmung – zwischen augenfälliger Funktionalität und imaginiertem Potential pendelnd.

Wilfredo Prietos (geb. 1978 in Kuba, lebt in Kuba und New York) Arbeiten bestechen durch ihre Simplizität. Zwei miteinander verbundene Verlängerungskabel werden in seiner Arbeit Closed Circuit (2005) zu einem Objekt – ein ewiges Sich-Selbst-Umkreisen, das Paradox einer verbildlichten Unendlichkeit. Prieto spielt mit den Erwartungen und Vorstellungen, die an ein Kunstwerk herangetragen werden und kommentiert sie durch eine ins Leere laufende Konstruktion. Als erweitertes Ready-made wird dieses in einen neuen Zusammenhang gesetzt und zitiert letztlich nur das eigene Material. Ein Stück Zucker neben einem gleich großen Stück Marmor – Two classics (2011) präsentiert sich in diesem Zusammenhang als Kostbarkeit. Die Arbeit gibt Anlass zu Spekulationen über deren Materialität und lässt nachdenken über die Magie der einfachen, uns tagtäglich umgebenden Dinge.

Um Magie geht es im weitesten Sinne auch in Ariel Schlesingers (geb. 1980 in Jerusalem, lebt in Berlin und New York) Beitrag L’angoisse de la page blanche (2007). Zwei, auf einem Tisch kreisende, aber immer in Verbindung bleibende Din A4 Blätter. Genauer gesagt geht es um den sonderbaren Moment, der sich durch den Kontrast des offensichtlichen Selfmade-Charakters der Konstruktion und dem Sehnsuchtsmoment der aneinander haften bleibenden Blättern ergibt. Auch Schlesingers Arbeit stellt scharf auf die Betrachter*innen, die, von deren Einfachheit eingefangen, sich mit ihren eigenen Erfahrungen konfrontiert sehen. In der nicht enden wollenden Bewegung der Blätter scheinen Anfang und Ende zusammen zu fallen, so dass die Hoffnung auf eine Entwicklung bzw. Veränderung sich als vergeblich erweist.

Wilhelm Sasnals (geb. 1972 in Tarnów (PL), lebt in Krakau) Super 8 Film Concorde (2003) wurde auf dem letzten Flug des Überschallpassagierflugzeugs zwischen Paris und New York gedreht und zeigt den Blick durch ein Fenster des Jets, wie die Passagier*innen ihn erlebt haben müssen. Das Sehfeld verengt sich auf einen kleinen Ausschnitt – einen Fensterblick auf das nahezu ätherische lichte Blau des Himmels. Dessen Schönheit wird durch den Loop ins Unerträgliche gesteigert und gleichsam unterwandert von den analogen Prozessen der Projektion. Denn in der permanenten Wiederholung verschleißt zusehends das Filmmaterial selbst und das sprichwörtliche Begreifen der Filmbilder wird eingeholt von der Halbwertzeit ihrer materiellen Sichtbarkeit. Bezogen auf die Wahrnehmung steht der Film damit emblematisch für beides: deren Apotheose und Scheitern.

Die Run Away Filme von Lonnie von Brummelen (geb. 1969 in Soest (NL), lebt in Amsterdam) fassen drei Kurzfilme zusammen. In einer Art Selbstversuch startet Von Brummelen die Aufnahme und läuft davon – über die Dächer der Stadt, durch die Wohnsiedlung und verschwindet im Wald. Die Identität der Schauplätze ist nicht entschlüsselbar, wodurch sie austauschbar bleiben. Diese konsequente, autonome Handlung zwischen Flucht und Widerstand erinnert an ein minor détournement der Situationisten, was die ansonsten alltägliche Handlung in einen neuen Zusammenhang stellt. Es entsteht ein Spiel aus kontinuierlicher Wiederholung und Erwartung der Zuschauer*innen. Die Betrachter*innen aber bleiben dabei ganz bei sich, liefern die Filme selbst doch keinerlei Indizien oder Erklärungen zum Warum oder Wohin.

Kuratorinnen: Carla Donauer, Alexandra Landré

Realisiert im Rahmen des deutsch-niederländischen euregionalen Kulturprojekt smax (2009-2012)

Das Programm der Kunsthalle Münster wird unterstützt vom Freundeskreis der Kunsthalle Münster.