Marino di Teana, Parcours sans fin [Endlose Wegstrecke / Unendlicher Rundgang], 1973/1974, 51°57'52.4"N 7°37'33.8"E

Marino di Teana, Parcours sans fin [Endlose Wegstrecke / Unendlicher Rundgang], 1973/1974

Credit

Die Stahlplastik Parcours sans fin des italienisch-argentinischen Bildhauers Marino di Teana (1920–2012) zählt zu den frühesten Kunstankäufen der Stadt Münster. Ihr Erwerb als „Kunst am Bau“ für das Pascal-Gymnasium steht dabei im direkten Zusammenhang mit der Ausstellungsgeschichte der Skulptur Projekte. Denn ursprünglich gelangte die konstruktivistische Plastik im Jahr 1977 als private Leihgabe des Künstlers für die erste Ausgabe der seither alle 10 Jahre stattfindenden Großausstellung nach Münster. Von Juli bis November jenes Jahres wurde Parcours sans fin neben zwei weiteren Metallplastiken di Teanas im Ausstellungsteil „Autonome Skulptur“ im Schlossgarten präsentiert.1 Außerdem waren an diesem Standort Werke von Max Bill, Alexander Calder, Lucio Fontana, Otto Freundlich, Ernst Hermanns, Norbert Kricke, David Rabinowitch und Mark Di Suvero zu sehen. Heute ist die rostbraune Cortenstahlplastik – nicht zuletzt wegen ihrer Aufstellung abseits der Innenstadt – allenfalls einem kleineren Teil der Münsteraner Öffentlichkeit bekannt. Dennoch lohnt sich ein genauerer Blick auf dieses meist übersehene Werk und seinen (hierzulande) fast vergessenen Urheber.

Francesco Marino, später bekannt unter dem Künstlernamen Marino di Teana, wurde 1920 im süditalienischen Dorf Teana geboren. 1936 umging er den Militärdienst im faschistischen Italien Mussolinis und emigrierte nach Argentinien. In Buenos Aires arbeitete er zunächst als Maurer und später als Baustellenleiter. Parallel studierte er Architektur und freie Kunst. Ein Stipendium der französischen Botschaft ermöglichte ihm schließlich im Jahr 1952 die Rückkehr nach Europa, wo er nach Aufnahme in die Pariser Galerie Denise René im Laufe der 1960er Jahre zunehmende Bekanntheit erlangte. Hierbei machte er nicht allein mit seinem skulpturalen Werk von sich reden, sondern feierte auch mit utopisch-visionären Architektur- und Stadtentwürfen internationale Erfolge. So repräsentierte er seine Wahlheimat Frankreich 1965 beim internationalen Kongress für Architektur und Urbanistik in Bochum, wo er für seine modellhaft projektierten villes du futur [Städte der Zukunft] – neben dem Schweizer Architekten und Stadtplaner Le Corbusier (1887–1965) – mit der Silbermedaille geehrt wurde. Vor allem ist jedoch die beachtliche Anzahl von rund 50 Werken im kommunalen Auftrag hervorzuheben, die Marino di Teana über mehrere Jahrzehnte in fast allen Teilen Frankreichs realisieren konnte. Wegen ihrer Dimension sticht dabei die Monumentalplastik Liberté in Fontenay-sous-Bois besonders hervor: Mit einer Höhe von 21 Metern und dem Gewicht von 100 Tonnen zählt sie zu den größten Stahlplastiken Europas.

Auch wenn Marino di Teanas Parcours sans fin hinter dieser immensen Größe zurücksteht, ist die Plastik in vielerlei Hinsicht charakteristisch für sein Œuvre. Kennzeichnend ist der Verzicht auf organisch geformte, expressive Elemente zugunsten rhythmisch angeordneter Grundformen. Daneben betonte di Teana immer wieder die besondere Bedeutung des (leeren) Raumes als künstlerisches Gestaltungselement: „Die Harmonie entsteht aus dem Verhältnis einer Anzahl von Formen zu ihren Zwischenräumen.“2 Die maßgebliche Rolle dieser Freiräume, die sich vor allem beim Umschreiten seiner Werke zeigt, bezeichnete di Teana selbst als vide actif [aktive Leere].

Besonders zeichnen sich die Stahlplastiken di Teanas aber durch ihren architektonischen Charakter aus: „All meine Skulpturen sind Architekturmodelle”3 sagte er einmal über die variablen Maßstäbe und den tektonischen Aufbau seiner Arbeiten und so lässt sich auch Parcours sans fin als futuristisch-modellhaftes Raumgefüge mit dynamisch gestreckten Achsen, schwebenden Baukörpern, kreissegmentförmigen Raumöffnungen und vertikal aufstrebenden Türmen betrachten. Lässt man sich auf diese Vorstellung ein, ergibt sich ein spannungsreicher Austausch mit dem Gebäudekomplex der Schule. Und vielleicht birgt diese Erfahrung vier Jahrzehnte nach Ankauf der Skulptur die Möglichkeit einer ästhetischen Wiederentdeckung.

Julius Lehmann

1

Siehe: Klaus Bußmann/Kasper König (Hg.): Skulptur. Ausstellung in Münster 1977 [Ausst.-Kat. Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster], Münster: Landschaftsverband Westfalen-Lippe 1977, S. 95, 179–181; zur dreiteiligen Gliederung der Ausstellung „Historisch-didaktischer Teil (Landesmuseum) – Autonome Skulptur (Schlossgarten und einzelne Orte zwischen Museum und Schloss) – Projektbereich (Stadtraum)“ siehe: https://www.skulptur-projekte-archiv.de/de-de/1977/

2

Marino di Teana, zit. nach: Marino di Teana. Sculptures, Dessins et Peintures. 1960 -1980 [Ausst.-Kat. Musée des Beaux-Arts, Pau], Pau 1981, S. 19 [eigene Übersetzung].

3

Siehe: https://frac-centre.fr/collection-art-architecture/rub/rubauteurs-58.html?authID=228 [eigene Übersetzung].