Bernhard Luginbühl, Sam, 1967, 51°57'32.6"N 7°39'37.0"E

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Bernhard Lüginbühl, Sam, 1967

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Vor dem Stadtbad Ost treffen Badegäste und Passant:innen seit 1977 auf ein seltsames, rot lackiertes Metallgebilde: Wie eine moderne Sphinx auf einem Betonsockel scheint sich dort ein eisernes Mischwesen aus Tier und Maschine niedergelassen zu haben. Während der langgestreckte vordere Teil der dreibeinigen Eisenskulptur über die Sockelkante hinausragt, als bereite sich das kraftvolle, insektenhafte Maschinenwesen auf den Absprung vor, lässt sich an der Rückseite eine übergroße, arretierte Flügelschraube erkennen. So entsteht der Eindruck, die rätselhafte Konstruktion ließe sich aufziehen wie ein mechanisches Blechspielzeug im Großformat.

Bei diesem kuriosen Gebilde namens Sam handelt es sich um ein typisches Werk des Schweizer Künstlers Bernhard Luginbühl (1929–2011). Dieser hatte sich seit den 1950er Jahren mit ironisch verspielten Monumentalplastiken einen Namen gemacht, die er aus Eisenträgern, Altmetall und ausrangierten Maschinenteilen zusammenschweißte. Bekannt sind auch seine langjährigen Kooperationen mit seinem Künstlerfreund und Landsmann Jean Tinguely (1925–1991), den die städtische Kunstkommission um den Museumskurator Klaus Bußmann vergeblich versucht hatte, zur Realisierung einer Skulptur nach Münster zu locken.1

Als die Stadt Münster 1976 die stolze Summe von 80.000 DM aus Kunst-am-Bau-Mitteln zu-sammenlegte, um Luginbühls Sam zu erwerben, konnte der eigenwillige Schweizer bereits auf eine steile Künstlerkarriere zurückblicken: Neben der Präsentation seiner Arbeiten im Rahmen der Biennale in Venedig (1956 und 1965), lassen sich beispielhaft seine Beteiligungen an der documenta in Kassel (1964, 1972 und 1977) und den Weltausstellungen in Montréal (1967) und Osaka (1969) hervorheben. Das Kunsthaus Zürich und die Neue Nationalgalerie Berlin widmeten ihm 1972 eine umfassende Retrospektive und wie die Hamburger Kunsthalle hatte auch die Stadt Mönchengladbach bereits eine seiner Skulpturen erworben.

Wie im Fall von Three Rotary Squares von George Rickey (1907–2002), der ersten Großskulptur in Münster, entschied sich die Kunstkommission somit auch beim zweiten Ankauf für einen international erfolgreichen Künstler auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Und trotz des Risikos, erneut wütende Proteste von Bürger:innen auszulösen, fiel die Entscheidung auch dieses Mal auf ein abstraktes Kunstwerk. Mit Blick auf die problematische Vorgeschichte mit dem ‚Fall Rickey‘ ging die lokale Presse jedoch wohlgesonnen auf den neuerlichen Ankaufsplan der Stadt ein. So heißt es in den Westfälischen Nachrichten vom 25. September 1976: „Den Promotern der münsterschen Kunstkommission muß man eine bemerkenswerte Beharrlichkeit bescheinigen. Sie, die bei ihrem Rickey-Projekt nahezu von fast allen Seiten Nackenschläge einstecken mußten, traten jetzt mit ihrem Luginbühl-Plan erneut an die Öffentlichkeit.“2 Zugleich formuliert der Zeitungsbericht aber auch die Hoffnung, dass gerade der spielerische Charakter der gewählten Skulpturen den Münsteraner:innen den Zugang erleichtern würde. Und in der Tat war Sam ein erster „Botschafter“ für die von Klaus Bußmann und Kasper König organisierte Großausstellung Skulptur, die 1977 als erste Ausgabe der seither alle 10 Jahre stattfindenden Skulptur Projekte im Westfälischen Landesmuseum und im Münsteraner Stadtraum zu sehen war. Bis Juni 1977 wurde Sam für einige Wochen an zentraler Stelle im Museumsfoyer präsentiert, ehe „er“ bald darauf an seinem architektonisch nüchternen Bestimmungsort am frisch eröffneten Stadtbad aufgestellt wurde. Dort gelingt es diesem „Fabelwesen von urtümlicher Kraftballung“ und „skurrilem Witz“3 heute allerdings nur noch selten, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen oder sogar Empörung auszulösen.

Doch wer ist eigentlich Sam und wie kommt die Skulptur zu ihrem Namen? Einen Hinweis hierzu könnte das Entstehungsjahr 1967 geben. Luginbühl reiste in jenem Jahr erstmals in die USA, wo er für die Stahlindustriestadt Pittsburgh eine ähnliche Skulptur mit gleichem Titel schuf. Aller Wahrscheinlichkeit nach stand also die Symbolfigur Uncle Sam bei der Namenswahl Pate. Somit könnte die wehrhaft animalische Maschinenplastik, deren gestreckte Form an eine dysfunktionale Kanone erinnert, auch ein kritischer Kommentar auf Amerika sein, das zu jener Zeit einen sinnlosen Krieg in Vietnam führte. Der Spielraum für individuelle Interpretationen bleibt aufgrund der Mehrdeutigkeit der Skulptur jedoch offen.

Julius Lehmann

1

Vgl. Regina Wyrwoll (Hrsg.): Klaus Bußmann – Friedrich Meschede [= Energien – Synergien, Bd. 12], Köln 2012, S. 39.

2

Erhard Obermeyer: „Spielerische Kunst. Zweite Großskulptur für Münster“, in: Westfälische Nachrichten, 25. September 1976.

3

Klaus Bußmann, zit. nach: Erhard Obermeyer: „Ein ‚Witz‘ aus Eisen für das Stadtbad Ost“, in: Westfälische Nachrichten, 24. September 1976.