9.12.2023 – 10.3.2024,

Dominique White: When Disaster Strikes

, Kunsthalle Münster

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Dominique White, The domination of Nothing, 2023, rostiges und geschmiedetes Eisen, Sisal, zerstörtes Segel, gebranntes Mahagoni, hochflüchtige Holzkohle

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Mit When Disaster Strikes zeigt die Kunsthalle Münster erstmals Werke der britischen Künstlerin Dominique White in Deutschland. Whites Werke sind ein Spiel mit Erinnerung und Metamorphose. In ihren unvorhersehbaren Formen hält das Verschwundene Einzug in die Räume der Kunsthalle. Die Skulpturen repräsentieren die Materialisierung Schwarzen Lebens jenseits seiner subjektiven Grenzen, als Leuchttürme oder Gefäße einer ignorierten Zivilisation.

Dominique White befasst sich mit Schwarzsein in seinen konzeptionellen und materiellen Implikationen. Ihre Arbeiten sind abstrakte Gedenkskulpturen, die aussehen, als seien sie dem Atlantik entnommen – Monumente einer Unterwassernation, die aus versunkenen nicht-menschlichen Wesen besteht. In ihrem Werk greift die Künstlerin verschiedene Legenden auf, die sich in den Tiefen des Wassers abspielen und dort ihren Grund haben. Im Nirgendwo unter dem Meeresspiegel, das von den gespenstischen Ruinen Schwarzer Leben bewohnt wird, existiert ein lebendiges Vokabular, das fantastische Kreaturen, Mythen und Fiktionen hervorbringt, die aus der undenkbaren Vereinigung des ungeborenen Kindes, der Versklavten und der Schiffbrüchigen hervorgehen.

Den fragil erscheinenden Werken wohnt eine unmittelbar spürbare Brutalität inne. In ihrem visuellen Vokabular kombiniert White die Nachahmung eines Schiffswracks mit zerstörten Segeln, maroden handgeflochtenen Netzen, Tauen und zerschlissenen Bojen, die wie in ein gespenstisches Leichentuch aus Kaolin gehüllt sind. Auch Harpunen, die vom Salzwasser zersetzt erscheinen, sind wiederkehrende Elemente in ihrer Arbeit. In den ausschließlich neuen Werken, die sie für die Ausstellung in der Kunsthalle produziert hat, greift Dominique White zudem das Motiv des Fangkorbs auf und verwendet diesen in mehr und weniger abstrahierter Form. Mit Hilfe des Korbs bringt sie Dinge an die Oberfläche, Geschichten werden geborgen, verharren nicht länger unter dem Meeresspiegel. Zugleich erscheint der Fangkorb als eine Falle, die Schiffe in den Abgrund ziehen kann. Wenn er erst einmal vergessene und unsichtbar im Meer treibt, entfacht er eine Wirkung, die Seeminen vergleichbar, unterschiedslos wirken und Schiffe zum Kentern bringen kann – eine Form der (zufälligen) Selbstzerstörung und nicht zuletzt ein Beispiel dafür, wie die Werkzeuge des Meisters das Haus des Meisters zerstören können.

Die Verletzlichkeit von Dominique Whites Skulpturen ist kompromisslos. Als zerbrechliche Gebilde balancieren die skulpturalen Körper zwischen den Zuständen der Erhaltung, des Verfalls und der Zerstörung; Geister unter Geistern. Die Skulpturen verkörpern die Ablehnung einer Zukunft, die auf der Gewalt des Kolonialismus fußt. Die Künstlerin recherchiert fundiert zu ihren Arbeiten und ist dabei inspiriert von den Klängen des Detroit Techno. Sie bezieht sich vor allem auf afrofuturistische Erzählungen, wie sie von DJ Stingray, Drexciya und Tygapaw geschildert werden. Die Künstlerin verschränkt Theorien der Black Subjectivity, des Afropessimismus und der ‚Hydrarchie‘ – die Struktur, durch die imperiale Regierungen ihre Macht über Territorien behaupten, indem sie die Ozeane beherrschen – mit den nautischen Mythen der Schwarzen Diaspora zu einem Begriff, den sie als „Shipwreck(ed)“ definiert. Mit dem Meer als Träger des Todes ist der Ausgangspunkt ihres Denkens eine Ausweglosigkeit. White erzeugt Aufmerksamkeit für die Verheerungen Schwarzen Lebens in einer weißen Welt, in der die Unterdrückung von Schwarzsein kein Relikt der Vergangenheit ist.

Dominique White (geb. 1993 in Großbritannien) ist Absolventin der Goldsmiths University of London und der Central Saint Martins. Zu ihren jüngsten Ausstellungen gehören May you break free an outlove your enemy, La Casa Encendida, Madrid (2023); Statements, Art Basel, Basel (2022); Love, Bold Tendencies, London (2022); cinder’s of the Wreck/les cendres du naufrage, Triangle France, Marseille (2022); Techno Worlds, produziert vom Goethe-Institut, Art Quarter Budapest (2021); Possédées, MO.CO, Montpellier (2020–21); Boundary + Gesture, Wysing Arts Centre, Cambridge (2019). White ist die Gewinnerin des 9. Max Mara Art Prize for Women (GB/IT) (2022–2024); die Zeitschrift CURA hat sie zu einer der bedeutendsten Künstlerinnen unserer Zeit gewählt. 2019 wurde sie in Verbindung mit ihrer Einzelausstellung bei VEDA, Florenz (2019) mit dem Roger Pailhas Prize ausgezeichnet und erhielt 2020 Preise von Artangel und der Henry Moore Foundation. In den Jahren 2020 und 2021 war White zu Gast in Sagrada Mercancía (Santiago, Chile), Triangle France – Astérides (Marseille) und La Becque (La Tour-de-Peilz). White arbeitet nomadisch.

Kuratorin: Merle Radtke
Kuratorische Assistenz: Jolanda Saal

Die Ausstellung wird gefördert durch:

Das Programm der Kunsthalle Münster wird unterstützt vom Freundeskreis der Kunsthalle Münster.

Begleitprogramm:

10.12.2023, 15:00 Uhr,

Künstlerinnengespräch mit Dominique White

, Kunsthalle Münster

17.12.2023, 15:00 Uhr,

Führung durch die Ausstellung Dominique White: When Disaster Strikes mit Jolanda Saal

, Kunsthalle Münster

17.1.2024, 18:00 Uhr,

No Mask. Grada Kilomba. Reading Group Machtkritische Kunstvermittlung zu Gast in der Kunsthalle Münster mit Prof. Dr. Gesa Krebber und Merle Radtke

, Kunsthalle Münster

16.2.2024, 18:00 Uhr,

Führung durch die Ausstellung Dominique White: When Disaster Strikes mit Jolanda Saal

, Kunsthalle Münster

10.3.2024, 15:00 Uhr,

Kuratorinnenführung durch die Ausstellung Dominique White: When Disaster Strikes mit Merle Radtke

, Kunsthalle Münster